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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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das Vieh für ihn zur Bahnstation trieben, Söhne, die gering oder gar nicht bezahlt wurden, da die Ranch ihnen eines Tages ohnedies als Lohn winkte. Aber, dachte Martin, starke Söhne wuchsen nicht am Wegesrand. Er nahm an, daß es Jahrzehnte dauern würde, starke und viehtaugliche Bauernsöhne heranzuziehen, vorausgesetzt, er fand überhaupt eine Frau. Beim Weiterlesen begriff er, daß Vertragsviehtreiber es ebenfalls zu beträchtlichem Reichtum bringen und am Ende gar eine eigene Herde und Ranch erwerben konnten. Als Beispiel wurde ein Viehtreiber angeführt, der in einer einzigen Saison 50000 Dollar verdient hatte, indem er anderer Leute Vieh nach Norden trieb. Martin Fronk verfiel in eine wohlige Träumerei. Wenn seine Gesundheit schnell Fortschritte machte, konnte er für einige Jahre als Viehtreiber arbeiten und sich dann als Rancher etablieren, mitsamt seinen sechs kräftigen Söhnen. Eines begriff er jedenfalls: Wenn man genug Mumm in den Knochen hatte, war mit Vieh ungeheuer viel Geld zu machen.
    Die Gleise reichten nicht bis nach Woolybucket, sondern endeten einen guten Tagesritt vorher bei einem Ort namens Twospot. Hinter dem Bahnhof gab es notdürftige Stallungen, wo er einen schmutzstarrenden Alten dazu überreden konnte, ihm einen gebrauchten Dearborn-Buggy und ein graues Pferd mit einem Menschenfresserblick zu verkaufen; er lud Schrankkoffer und Koffer in den Buggy und machte sich auf den Weg nach Westen, der Richtung, in der Woolybucket ungefähr lag. Im Zug hatte der Schaffner, der über die Pläne der MTK-Eisenbahngesellschaft mindestens ebenso gut informiert zu sein schien wie deren Direktor, ihm erklärt, daß die Eisenbahnlinie ganz sicher vor Jahresfrist bis nach Woolybucket führen würde, daß Woolybucket ein wichtiger Knotenpunkt für den Viehhandel werden würde und daß er, Martin Fronk, nicht schlecht beraten wäre, sich in der Nachbarschaft dieser künftigen Metropole nach Land umzusehen.
    Er überquerte zwei kleine Wasserläufe, den Woolybucket Creek und den Rogers Creek, beide von Weiden und Pappeln gesäumt, die Schatten und Rast verhießen. Tatsächlich erblickte er eine kleine Reisegesellschaft, die ihr Lager aufgeschlagen hatte, doch da es aus der Ferne aussah, als seien es Indianer, näherte er sich ihnen lieber nicht. Der Schaffner hatte einige Besonderheiten der Indianer erwähnt, insbesondere der Komantschen, deren Manieren zu wünschen übrigließen und die bisweilen sogar ausgesprochen brüske Umgangsformen pflegten.
    »Letztes Jahr haben sie sich einen Uhrenhändler geschnappt, haben ihm den Magen aufgeschlitzt, ihm die Eingeweide rausgezogen, sie an seinen Sattelknauf gebunden und das Pferd davongejagt. Wenn ich mich nicht täusche, haben sie ihm auch noch verschiedene Körperteile als Souvenirs weggeschnitten. War nicht mehr viel von ihm übrig, nur das Nötigste. Wäre nicht dumm von Ihnen, denen aus dem Weg zu gehen.«
    Ein Mann auf dem Sitz schräg gegenüber hatte gesagt: »Ach, zum Teufel, es gab Schlimmeres. Erzählen Sie ihm, was sie mit Dave Dudley in Adobe Walls angestellt haben. Das wissen Sie nicht? Na, dann will ich es ihm erzählen. Dave Dudley haben sie sich geholt, als er an der Mündung vom Red Deer Creek Büffel schießen wollte. Sie haben ihm eines von seinen Eiern rausgeschnitten, haben es ihm in die Hand gelegt und seine Hand an einen Pfahl vor ihm gebunden, damit er es im Blick hatte und sich ausmalen konnte, wie es weitergehen würde. Dann haben sie ihm ein Loch in den Bauch geschnitten und einen Pfahl durchgesteckt, bis zum Boden hinunter, und mit einer Axt reingeklopft. Haben dafür einen von seinen eigenen Bisonpflöcken genommen. Und zum Abschluß haben sie ihn skalpiert, einmal um den Globus und zurück, bis ihm kein Haar auf dem Kopf geblieben ist. So sind unsere Indianer. Die meisten sind inzwischen ausgestorben, aber nicht alle.«
    Gegen Spätnachmittag hatte der Himmel im Südwesten eine tiefe grünbraune Farbe angenommen, doch das sagte Martin Fronk wenig. Er war von der Hitze und dem Geholper in seinem Dearborn-Buggy ermüdet und wünschte sich mehr als alles andere, bis zum Kinn in kaltes Wasser einzusinken. Er war durstig, hatte seine Wasserkanister schon vor Stunden geleert. Dennoch fürchtete er sich davor, zum Fluß zu gehen, wo es Indianer geben konnte. Hin und wieder holte er tief Luft, um festzustellen, ob die trockene Höhenluft sich leicher atmete. Das Atmen kam ihm leichter und möglicherweise angenehmer vor. Genau hätte er es

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