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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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wie möglich festzuhalten.« Stirnrunzelnd legte sie den Hörer auf.
    »Ich wünschte, das wäre ihm eingefallen, bevor ich zwei Tage mit sinnlosem Herumlaufen vergeudet habe. Das war Tater; er sagt, er hätte die Briefe seines Deddys durchgesehen und wäre auf einen Brief gestoßen, in dem Fannys Leute seinem Deddy für den Beileidsbrief danken, und da wäre ihm alles wieder eingefallen. Es war jemand anders, der wegen seiner Liebe zu einem kleinen Mädchen gestorben ist. Der junge Fanny hat offenbar ein schlimmeres Ende gefunden.« Aber worin Taters neue Version bestand, sagte sie nicht. Und ebensowenig, dachte Bob, hatte sie das Foto vom zerschundenen Rücken ihres Großvaters erklärt. Er fragte sich, ob die Berichte von den örtlichen Familien in LaVons Kompendium auch so abrupt aufhörten und den Leser ratlos zurückließen.
    Bevor er einschlief, kam Bob ein Einfall, der ihn zusammenzucken ließ wie der Biß einer Feuerameise: Tater Crouchs Bar Owl Ranch wäre der ideale Standort für eine Schweinefarm. Der Geruch war schon da.

12. Rope Butt
    E in übel zugerichteter Pickup mit Viehanhänger fuhr direkt auf der Mittellinie dahin. Der Fahrer, Rope Butt, spuckte aus dem Fenster, sprach laut die große und poetische Zeile, die ihm bei Sonnenaufgang eingefallen war: Ein alter Cowboy hat es nicht leicht . Es eilte ihm nicht mit der Suche nach der nächsten Zeile; sie würde sich von allein einstellen. In einer Gegend, deren Aussehen einst die großen Ranches geprägt hatten, war bis auf vereinzelte klägliche Überreste nichts geblieben – Baumwolle wuchs an den Fundamenten der Häuser empor, Veranden waren ins Erdreich eingesunken, die kostspieligen importierten farbigen Glasfenster von Kugeln zersplittert. Rope Butt hielt sich für den einzigen tüchtigen, noch lebenden Cowboy im ganzen Panhandle, unabhängig davon, daß er weit über neunzig war. Trotz seines Alters konnte er den ganzen Tag schuften, und er besaß den nur ganz leicht angestaubten Ruf eines guten Arbeiters, denn was ihm an Kraft fehlte, machte er durch Erfahrung und Viehverstand wett. Zu seiner Zeit war er ein wahrer Teufelskerl gewesen, doch jetzt war er ein alter, uralter Skorpion, einsam, verbittert, und das wußte er.
    Er war jähzornig und schnell eingeschnappt, vertrug weder Kritik noch Widerspruch. Er ging lieber arbeiten, als zu Hause in seinen winzigen drei Zimmern zu bleiben. Als er jünger war, kündigte er wegen jeder Lappalie und zog zur nächsten Ranch weiter. Er kündigte so häufig, daß der Anblick seines Wagens mit dem Viehanhänger Witzbolde zu der Bemerkung inspirierte, sie hätten den Eindruck, Rope Butt sei »mal wieder auf Achse«. Doch es war zwanzig Jahre her, daß er zum letztenmal eine feste Arbeitsstelle gehabt hatte; in den Zeiten vonArbeitsschutz und Rechtshändeln war kaum ein Rancher dafür zu haben, einen uralten Cowboy zu beschäftigen. Rope Butt kümmerte sich um seine Pferde und züchtete nebenbei Kampfhähne, um über die Runden zu kommen. Er fand es schade, daß auf den meisten Ranches Geländewagen und Traktoren vor Pferden der Vorzug gegeben wurde. Er erinnerte sich an die Zeiten, als die Cutaway Ranch dreihundert Pferde unterhalten hatte. Heute gehörte sie einer Versicherungsgesellschaft in Minneapolis, und es gab noch dreißig Pferde, die Hälfte davon so gut wie nie genutzt. Daß Rope gebraucht wurde, wenn ein Rancharbeiter erkrankte oder vor Gericht erscheinen mußte, kam nur alle Jubeljahre einmal vor, und seine melancholischen Gedanken beschäftigten sich mit Cowboy-Dichtung.
    Als sein Wagen den Highway entlangschlingerte, stellten sich zwei weitere Zeilen ein. Zuerst wiederholte er die erste, gelungene Zeile: Ein alter Cowboy hat es nicht leicht.
    Dann:
    Sein Kumpel ist lange schon abgehaut
    Und sein Feuer hat sich zum Ende geneicht.
    Aber der einzige Reim auf »abgehaut«, der ihm einfiel, war »Sauerkraut«, ein Wort, dem es an poetischem Glanz mangelte. Er blieb gelassen. Die richtige Zeile würde schon noch kommen. So war das mit der Poesie. Sie kroch aus den Senken und Schluchten des Gehirns hervor.
    Er hatte die Besten und die Schlimmsten gekannt. Der Pan- handle zog merkwürdige Menschen an, von Harvard-Absolventen bis zu Kriminellen auf der Flucht. Die zwei warmen Brüder, die vor kurzem aus Dallas gekommen waren, fand er zwar entbehrlich, aber er störte sich auch nicht an ihnen, denn gewisse Freundschaften unter Cowboys waren keineswegs unbekannt, wenn auch nicht allgemeiner

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