Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
die in Wertpapierdepots liegenden privaten Finanzvermögen (auch dies ließe sich rasch umsetzen und hätte noch bessere Verteilungseffekte im Sinne höherer Konsolidierungsbeiträge der sozial Bestgestellten).
Auch im Hinblick auf eine effiziente Stimulierung der Produktion der Unternehmen durch die Wirtschaftpolitik gibt es noch viele Optionen, die später näher erläutert werden:
Energisches Vorantreiben der Entwicklung gemeinsamer europäischer Standards zur Ökologisierung von Industrieprodukten (Elektroautos sind nur ein Beispiel).
Investitionen in die Infrastruktur mit ökologischem Schwerpunkt, insbesondere im Bereich des öffentlichen Fern- und Nahverkehrs.
Verbesserung der Systeme der sozialen Sicherheit, insbesondere im Gesundheitswesen (Nutzung der Effizienzvorteile einheitlicher und daher entsprechend großer sozialstaatlicher Krankenkassen etc.)
Die hier skizzierten Grundsätze einer makroökonomisch effizienten Haushaltskonsolidierung in einer hartnäckigen Wirtschaftskrise stehen in diametralem Gegensatz zu den Empfehlungen des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams, repräsentiert etwa durch die Positionen des Internationalen Währungsfonds, der OECD und insbesondere der Europäischen Kommission. Diese Institutionen vertreten im Wesentlichen die gleiche Position wie vor der großen Krise: Der Schuldner ist schuld, wenn der Staat über seine Verhältnisse lebt, muss er sparen und so gleichzeitig dem langfristigen Ziel näherkommen, nämlich einer nachhaltigen Senkung der Staatsquote.
Folgen die EU -Länder diesen Empfehlungen, so werden sie sich wechselseitig das Wasser abgraben, also eine kontraktive Kettenreaktion auslösen. Damit wird die europäische Wirtschaft in einem zweiten Schub tiefer in eine Krise rutschen und weiter an Konkurrenzfähigkeit gegenüber den anderen Regionen verlieren. Denn nur in der EU sind die Eliten, insbesondere die Ökonomen und Politiker, so sehr fixiert auf eine Verschärfung des Sparkurses samt Einführung von Schuldenbremsen. Weder in den USA , noch in China oder den BRIC -Ländern setzt man auf eine solche Symptomtherapie, und schon gar nicht so obsessiv.
Im folgenden Abschnitt möchte ich einige konkrete Beispiele für ein expansives Konsolidierungskonzept skizzieren, durch das sich die einzelnen Länder wechselseitig stimulieren und so nicht nur das Problem der Staatsverschuldung entschärfen, sondern auch die wichtigsten anderen Probleme mildern wie Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Umweltverschlechterung. Ein solcher »New Deal« für die Europäische Union müsste eingebettet sein in neue Rahmenbedingungen auf globaler Ebene. Diese werde ich im nächsten Abschnitt behandeln.
14. Erneuerung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
Die folgenden Vorschläge beziehen sich auf eine Neugestaltung der makroökonomischen Rahmenbedingungen in der Weltwirtschaft. Andere Bereiche wie etwa eine Reform der Bilanzierungsregeln sowie sonstige Regulative, insbesondere im Hinblick auf den Finanzsektor beziehungsweise auf die notwendige Ökologisierung der Weltwirtschaft (zum Beispiel: Kyoto-Nachfolge), bleiben außer Betracht (so wichtig diese Problemfelder auch sind). 13
14.1. Erneuerung des Weltwährungssystems
Eine systemische Hauptursache von Ölpreisschocks, internationalen Finanzkrisen, aber auch der exzessiven Auslandsverschuldung der USA besteht darin, dass der Dollar eine Doppelrolle spielt als nationale Währung der USA und als (Ersatz-)Weltwährung, in der alle Rohstoffe und die meisten internationalen Schulden notieren (Schulmeister, 2000). Nicht nur wegen des Spannungsfeldes zwischen den nationalen Interessen der USA und den globalen Anforderungen an eine stabile Weltwährung schwankt (ausgerechnet) der Wechselkurs des Dollar am stärksten, sondern auch deshalb, weil der Dollar den »Standardjeton« auf den Devisenmärkten darstellt (fast alle Transaktionen erfolgen vis-à-vis dem Dollar).
Die alltäglichen Spekulationen am Devisenmarkt bewirken Kursschübe, die sich über mehrere Jahre zu massiven Abweichungen des Dollarkurses von seinem Gleichgewichtsniveau akkumulieren (Schulmeister, 2010): So kam es in den 1970er Jahre sowie zwischen 2002 und 2008 zu drastischen Dollarentwertungen (Bear Markets), zwischen 1980 und 1985 bzw. zwischen 1995 und 2000 hingegen zu massiven Aufwertungen (Bull Markets).
Dieses Overshooting der globalen Ankerwährung verursacht enorme Umverteilungen von Einkommen und Kaufkraft in der Weltwirtschaft,
Weitere Kostenlose Bücher