Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
Finanztransaktionen – gemessen an den Basiswerten – drastisch zu). Zweitens ist die Schnelligkeit des Handels immer mehr gestiegen, nicht zuletzt durch das Internet und die computergestützte Verwendung technischer Spekulationssysteme (Algo Trading). So wechseln Day Trader ihre Positionen mehrmals am Tag, um kurzfristige Preisschübe auszunützen.
Das schnelle Trading verursacht die für Finanzmärkte typische Abfolge von Bulls und Bears (Abb. 1 bis 7): Ist die Marktstimmung bullish, so dauern Aufwertungsschübe auf Basis von Minutendaten etwas länger als Gegenbewegungen. Mehrere solcher Mini-Schübe akkumulieren sich zu einem Kursschub auf Basis von Stundendaten, die ihrerseits nach oben etwas länger dauern als nach unten. Dies bringt wiederum einen stufenweisen Aufwertungsprozess auf Basis von Tageskursen hervor und damit eine zunehmende Überbewertung des jeweiligen Assets (Aktien, Währungen, Rohstoffe etc.). Diese lässt den Bull Market früher oder später in einen Bear Market kippen, der sich nach dem gleichen Muster entwickelt: Kursschübe nach unten dauern länger als die Gegenbewegungen.
Die Abfolge von Bulls und Bears ergibt die für Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse und sonstige Vermögenspreise typischen, »manisch-depressiven« Schwankungen. Fallen mehrere Bull Markets zusammen wie jene von Aktien, Immobilien und Rohstoffen zwischen 2003 und 2007, so baut sich ein enormes Absturzpotenzial auf, das schließlich durch die Hypothekenkrise in den USA aktiviert wurde. Die drei nachfolgenden Bear Markets haben Aktien-, Rohstoff- und Immobilienvermögen drastisch entwertet, die US -Finanzkrise weitete sich deshalb zu einer globalen Krise der Realwirtschaft aus (Abb. 10).
Seit 35 Jahren hat die zunehmende Instabilität der Finanzmärkte das Profitstreben schleichend von realwirtschaftlichen Aktivitäten zu Finanzveranlagung und -spekulation verlagert. Dies ist die systemische Hauptursache der langfristigen Abschwächung des Wirtschaftswachstums und damit des Anstiegs von Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung.
Zur Beruhigung der Aktienmärkte hatte Keynes 1936 eine Transaktionssteuer auf Aktien vorgeschlagen, Tobin übertrug die Idee Anfang der 1970er Jahre auf den Devisenmarkt (dieser wurde sogleich nach dem Zusammenbruch des Festkurssystems durch Spekulation destabilisiert). In einer WIFO -Studie wurden kürzlich eine generelle Finanztransaktionssteuer ( FTS ) zur Diskussion gestellt (Schulmeister/Schratzenstaller/Picek, 2008): Sämtliche Transaktionen mit Finanztiteln werden mit einem niedrigen Satz besteuert (zwischen 0,1 Prozent und 0,01 Prozent). Bemessungsgrundlage ist der Wert des jeweils gehandelten Finanztitels (Asset), im Fall von Derivaten ihr Basiswert. Käufer und Verkäufer tragen die Steuer zu gleichen Teilen.
Eine solche Steuer würde längerfristig orientierte Veranlagungen (etwa einen Aktienkauf) oder ein Absicherungsgeschäft (Hedging) nicht spürbar belasten. Wer etwa Aktien im Wert von 10.000 Euro kauft, müsste dafür – bei einem Steuersatz von 0,05 Prozent – gerade einmal 2,50 Euro an FTS berappen. Eine Fluggesellschaft, welche die Kerosinkosten im Ausmaß von zehn Millionen Euro durch Kauf von Ölfutures im gleichen Wert absichert, würde dafür lediglich 2.500 Euro an FTS zahlen müssen. Wenn hingegen ein Hedge Fund mit Hilfe eines computergesteuerten Trading Systems Derivate mit einem Basiswert von 10 Millionen Euro im Laufe eines Tages hundertmal kauft bzw. verkauft, so würde er dafür 250.000 Euro an FTS zu bezahlen haben. Das schnelle und destabilisierende Trading mit Derivaten würde somit spezifisch verteuert und daher gedämpft werden. Fazit: Eine FTS hätte eine sedierende Wirkung auf die Derivatmärkte, das Wetten auf kurzfristige Kursschübe verliert an Attraktivität, ausgeprägte Kursschübe werden seltener, was wiederum das Ausmaß von Bulls und Bears verringert.
Der fiskalische Ertrag wäre erheblich (siehe dazu die neuen Schätzungen in Schulmeister, 2010): Bei einem Steuersatz von 0,05 Prozent ergäbe sich global ein Ertrag von 1,2 Prozent des Welt- BIP , in den Industrieländern wären die Einnahmen merklich höher, in Europa etwa 1,6 Prozent des BIP (etwa 290 Milliarden Euro). In Deutschland läge das Aufkommen bei 1,1 Prozent des BIP (27 Milliarden Euro).
Wäre die Implementierung eine rein technische Frage, dann könnte man eine generelle FTS schon jetzt in kurzer Zeit weltweit umsetzen. Denn sämtliche Transaktionen sind mehrfach in den
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