Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
Leitzinsen sollten auf einem Niveau stabilisiert werden, das sicherstellt, dass die für den Unternehmenssektor relevanten Kreditzinsen um ein bis zwei Prozentpunkte unter der (erwarteten) Wachstumsrate liegen.
Die Zinspolitik sollte sich daher an der Förderung der unternehmerischen Realinvestitionen orientieren und nicht zum Zweck der Inflationsbekämpfung eingesetzt werden. Denn Zinssteigerungen erhöhen die Produktionskosten massiv (steigt der Zins von vier Prozent auf sechs Prozent, so steigen die Zinskosten um 50 Prozent) und dämpfen daher nicht spezifisch die Inflation, sondern die Gesamtwirtschaft: Der wichtigste Konsens zwischen Monetaristen und Keynesianern, dass nämlich die Inflation durch Zinssteigerungen zu bekämpfen ist, erweist sich als Nonsense, der die realwirtschaftliche Performance in den letzten 30 Jahren nachhaltig verschlechtert hat (siehe dazu im Einzelnen Schulmeister, 1996).
Für »Normalzeiten« ergeben sich folgende Richtgrößen für eine wachstumsfördernde Zinspolitik: Bei einer erwarteten bzw. tolerierten Inflation von ungefähr zwei Prozent und einer mittelfristigen Wachstumsrate von etwa zwei Prozent sollte der Euro-Leitzinssatz bei einem Prozent liegen (in diesem Fall läge die Euro-Prime-Rate etwa auf dem Niveau der nominellen Wachstumsrate von vier Prozent).
In der Talsohle des langen Zyklus, also in der Transformationskrise vom Finanz- zum Realkapitalismus, ist allerdings mittelfristig mit einer Stagnation zu rechnen (oder einer noch schlechteren Entwicklung). Unter dieser Bedingung ist selbst ein Leitzins von null Prozent zu hoch: Der Kreditzins läge dann bei deutlich mehr als drei Prozent (weil die Banken in der Krise höhere Risikoprämien verlangen), die nominelle Wachstumsrate aber bei zwei Prozent (sofern es überhaupt eine Inflation in dieser Höhe gibt).
In einer solchen Situation wäre das Tolerieren oder sogar Anstreben einer etwas höheren Inflationsrate als zwei Prozent sinnvoll (dies wurde kürzlich in einem Working Paper des Internationalen Währungsfonds zur Diskussion gestellt – siehe Blanchard/Dell’Ariccia/Mauro, 2010). Allerdings ist es nicht einfach, die Inflationsrate auf ein höheres, zugleich aber stabiles Niveau zu heben. Am ehesten ließe sich dieses Ziel durch Lohnsteigerungen erreichen, die geringfügig über dem Wachstum der Arbeitsproduktivität liegen oder durch die Anhebung staatlicher Gebühren.
Besonders wichtig ist ein Bereich der Geldpolitik, der ausgeblendet bleibt, da er üblicherweise in die Kompetenz des Marktes fällt: Die Senkung der effektiven Kreditzinsen, welche die Banken den Unternehmen und Haushalten in Rechnung stellen. Diese sind nämlich wegen der Krise in Relation zu den Refinanzierungskosten viel höher als in Normalzeiten (die Zinsspanne steigt im Ausmaß der höheren Risikoprämie), gleichzeitig behindert aber das überhöhte Zinsniveau eine Überwindung der Krise.
Dieser vom Markt geschaffene Teufelskreis kann nur durch die nächsthöhere Ebene, die Wirtschaftpolitik, durchbrochen werden, und zwar auf dreifache Weise:
Übernahme der Ausfallshaftung durch die Zentralbank bzw. den Staat: Dies sollte insbesondere für Kredite an Unternehmen und Haushalte gelten, die makroökonomisch besonders wichtige Projekte finanzieren (etwa die thermische Gebäudesanierung oder andere unten angeführte Projekte).
Festsetzung von Obergrenzen für das durchschnittliche effektive Kreditzinsniveau einer Bank. Damit verbleibt der Bank die Freiheit, die Unterschiede zwischen den Kreditkosten verschiedener Projekte zu bestimmen (entsprechend der unterschiedlichen Risikobewertung), die Höhe der durchschnittlichen Kreditkosten ist aber beschränkt.
Direktfinanzierung der Staatshaushalte im Euro-Raum durch die EZB : Nur so kann verhindert werden, dass der Teufelskreis zwischen Risikobewertung von Staatspapieren und immer höheren Zinskosten für die Staatsschuld von Banken genützt wird, um immer mehr hochverzinsliche Staatstitel zu akkumulieren statt Kredite an Unternehmen und Haushalte zu vergeben. Dies würde überdies den Euro-Ländern gleiche Bedingungen für die Finanzierung der Staatsschuld einräumen wie in den USA . Denn dort finanziert die Notenbank den Staat direkt (siehe dazu Näheres im nächsten Abschnitt).
Gründung von Venture Capital Banks als Public Private Partnerships: Dies soll sicher stellen, dass innovative und (daher) riskante Projekte von (Jung-)Unternehmern auch bei einer wesentlich stärkeren Regulierung des
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