Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
Zinsniveaus finanziert werden.
Das bisherige Verhalten der Banken in der Krise zeigt, dass nur eine Kombination der angeführten Maßnahmen das effektive Zinsniveau für Kredite an Unternehmen und Haushalte nachhaltig senken kann. Zwar hat die EZB den Leitzins bis auf ein Prozent gesenkt, das allein hat das Kreditangebot für die Realwirtschaft aber nicht günstiger gemacht. Denn solange die Banken mit dem billigen Geld hochverzinsliche Staatsanleihen von Euro-Ländern erwerben können, werden sie nicht zu günstigeren Konditionen an Unternehmen oder Haushalte verleihen. De facto fließt damit ein erheblicher Teil der durch Konsolidierungsbemühungen (in Zukunft) eingesparten Mittel den Banken als (überhöhte) Zinseinnahmen zu.
Ein deutlich niedrigeres Zinsniveau in Europa hätte einen weiteren positiven Effekt, es würde zu einer Aufwertung des noch immer unterbewerteten Dollar gegenüber dem Euro beitragen. Denn das faire Niveau des Dollar/Euro-Kurses liegt bei etwa 1,1 – bei diesem Wechselkurs wären ein repräsentatives Bündel international gehandelter Güter und Dienstleistungen »Made in USA« und »Made in Euro area« gleich teuer. Anders gesagt: Entspricht der Wechselkurs dieser Kaufkraftparität von Tradables, so haben weder die USA noch die Euro-Zone einen unfairen Preisvorteil im internationalen Handel (Schulmeister, 2005).
15.2. Eindämmung der »Finanzalchemie« von Banken, Hedge Funds und Brokern
Der Finanzsektor ist für das Funktionieren einer kapitalistischen Marktwirtschaft von fundamentaler Bedeutung, aber nur, wenn er der Sicherung und Vermehrung des Finanzvermögens der Sparer durch Veranlagung in der Realwirtschaft dient und realwirtschaftliche Aktivitäten durch Investitionsfinanzierung, Abwicklung des Außenhandels, Kurssicherungsgeschäfte, Bankgarantien etc. fördert. In den vergangenen 35 Jahren haben hingegen solche Aktivitäten immer mehr Bedeutung erlangt, durch die das Geld selbstreferenziell arbeiten soll, also ohne »Umweg« über die Realwirtschaft: Dazu gehören alle Arten kurzfristig-destabilisierender Spekulation, insbesondere mit Finanzderivaten, seien es standardisierte wie die auf Börsen gehandelten Futures und Optionen, seien es maßgeschneiderte Instrumente wie die Over-The-Counter ( OTC ) gehandelten Collateral Debt Obligations ( CDO s) oder Swaps aller Art.
Die zunehmende Bedeutung »finanzalchemistischer« Aktivitäten ist eine wesentliche Komponente, durch die der Finanzkapitalismus den Boden für seinen Zusammenbruch bereitet. Denn diese Aktivitäten destabilisieren die wichtigsten Preise in der Weltwirtschaft wie Wechselkurse, Rohstoffpreise und Aktienkurse und schaffen (dadurch) Finanzvermögen, das keine realwirtschaftliche Deckung hat.
Um einen Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems zu verhindern, müssen diese Aktivitäten schrittweise reduziert werden. Diesem Ziel dienen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (siehe Abschnitt 15.3) sowie folgende regulierende Maßnahmen (sie sollten am besten global erfolgen, die EU könnte und sollte die Vorreiterrolle übernehmen):
Sämtliche Finanztransaktionen müssen über zentrale, elektronische Handelssysteme abgewickelt werden. Dies betrifft den gewaltig angewachsenen OTC -Markt. Nur dadurch kann sich die Finanzmarktaufsicht einen Überblick verschaffen über die offenen (spekulativen) Positionen wichtiger Akteure und das damit verbundene (systemische) Risiko (hätte man gewusst, dass AIG Milliardenforderungen gegen Lehman Brothers durch CDS s garantierte, man hätte die Bank wohl nicht in den Konkurs geschickt).
Bestimmte auf »Finanzalchemie« spezialisierte Banken wie Goldman Sachs, Deutsche Bank, Morgan Stanley, JPMorgan, PNP Paribas, Royal Bank of Scotland ( RBS ) haben in den letzten Jahren die finanzielle Notlage von Staaten, Ländern, Gemeinden und öffentlichen Unternehmen genützt, um sie zu hochriskanten Derivatgeschäften zu verführen, die ihre Not zwar kurzfristig linderten, später aber enorme Verluste (= Gewinne der Banken) verursachten. Diese Geschäfte sind zu evaluieren und je nach Ergebnis einzuschränken oder zu verbieten. 16
Viele »Finanzalchemiebanken« ( FAB ) und Hedge Funds haben nach Ausbruch der Hypothekarkreditkrise in den USA massiv auf einen Anstieg der Rohstoffpreise spekuliert, indem sie auf den Derivatbörsen Long Positions aufbauten. Dies hat den Preisboom verstärkt. Den nachfolgenden Preisverfall nützten und verstärkten diese Akteure durch Short Positions. Aus
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