Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
diesen Erfahrungen lässt sich schließen: Das Eingehen offener Positionen auf den Rohstoffderivatmärkten durch Akteure, die zu den entsprechenden Rohstoffen keinerlei realwirtschaftliche Beziehung haben (wie alle Finanzinvestoren), sollten beschränkt oder überhaupt verboten werden. 17
In nahezu allen Industrieländern, insbesondere auch in Deutschland und Österreich, nimmt die Finanzspekulation der Amateure immer mehr zu. Sie sind es, die letztlich mit ihren Verlusten die Gewinne der professionellen Spieler ermöglichen (es handelt sich ja um Nullsummenspiele). Deshalb regen auch seriöse Banken – oft via Tochtergesellschaften – spekulative Aktivitäten ihrer Kunden an und fördern diese durch Beratung und Seminare und andere Fortbildung in der »Kunst des Tradings«. Diese Tätigkeiten müssen transparent gemacht und (dadurch) eingeschränkt werden.
Nach Beschluss des Rettungspakets für Griechenland in Höhe von 110 Milliarden Euro haben sich die Finanzmärkte nicht beruhigt. Im Gegenteil, die Spekulation gegen andere Euro-Staaten und deren Anleihen hat massiv zugenommen. In dieser Notlage beschlossen EU und EZB am 8./9. Mai 2010 einen Fonds in Höhe von 750 Milliarden Euro (teilweise auch aus Mitteln des Internationalen Währungsfonds gespeist), um Euro-Länder vor Spekulation und im Extremfall einem Staatsbankrott zu retten. Dem gleichen Zweck dient die Ankündigung der EZB , sich am Handel mit Staatsanleihen zu beteiligen.
Damit allein kann die Bedrohung durch die »Finanzalchemisten« vielleicht gemildert werden, ihr Grundgeschäft mit der Angst vor Staatsbankrotts werden sie aber weiter betreiben: Unter Hinweis auf das unterschiedliche Risiko von Staatspapieren der einzelnen Euro- bzw. EU -Länder können sie im Wechselspiel von CDS -Spekulation und Handel mit echten Staatsanleihen deren Risikoprämien und damit deren Zinsniveau in die Höhe treiben. Der Rettungsfonds bzw. die EZB könnten dies durch Stützungskäufe von Staatspapieren lediglich abmildern.
Grotesk ist der Gesamtzusammenhang: Die »Finanzalchemisten« borgen sich bei der EZB Geld zu einem Prozent und kaufen damit portugiesische, spanische oder irische Staatsanleihen mit einer Verzinsung von sechs Prozent oder mehr, wobei dieses niedrige Zinsniveau nur durch Stützungskäufe des Fonds mit Hilfe von EZB -Geld erreicht wird …
Da braucht es eine andere, gründlichere Lösung (teilweise in Analogie zur Reaktion von Regierung und Notenbank der USA in Bezug auf die systemrelevanten Banken nach der Lehman-Pleite):
Die höchsten Instanzen der EU , die EZB und der (künftige) Europäische Währungsfonds ( EWF ) geben eine Garantie für die Staatsschuld sämtlicher Mitgliedsländer der Union ab. Damit gibt es keinen Grund für Risikoprämien.
EU , EZB und EWF legen gemeinsam Zinsniveaus für neu emittierte Staatspapiere fest. Diese sind echte Euro-Bonds, garantiert von der gesamten Staatengemeinschaft.
Daher orientiert sich das Niveau der Euro-Anleihenzinsen an dem für Triple-A-Schuldner wie die USA oder Deutschland gültigen Zinsen. Die Euro-Anleihenzinsen differieren zwar nach der Laufzeit, nicht aber nach Ländern. Für eine 10-Jahres-Anleihe läge der Zins derzeit bei höchstens vier Prozent.
Wenn diese Bedingungen glasklar gemacht werden (und das EWF -Volumen von 750 Milliarden Euro stärkt die Glaubwürdigkeit einer solchen Strategie enorm), dann hört sich das Spiel mit dem Hinauftreiben der Risikoprämien auf.
Gleichzeitig werden die Staatspapiere genügend Anleger finden. Denn es existiert ein enormes Volumen an Finanzkapital, das angesichts der Instabilität von Finanz- und Rohstoffmärkten und der unsicheren Wirtschaftslage einen relativ sicheren Hafen sucht.
Im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere auch den USA , ist die EU ein relativ stabiler Wirtschaftsraum, freilich müssen die europäischen Wachstumsaussichten noch durch einen »New Deal« verbessert werden.
Jene Neuemissionen, die zu diesen Konditionen keine privaten Abnehmer finden, werden vom EWF gekauft.
Dieses Konzept erfordert eine nachhaltige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, allerdings nicht durch Sparen, sondern durch eine expansive Strategie (wie in diesem Essay ausgeführt).
Der Konsolidierungsprozess wird von EU und EWF koordiniert und überwacht.
Kauf und Verkauf von bereits emittierten Anleihen sollten nicht über den Sekundärmarkt erfolgen, sondern von einer öffentlichen Institution als Broker organisiert werden, am besten von jener
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