Mitten in der Nacht
meiner Familie ständig mit Problemen zu tun. Vermutlich weil wir so viele sind.«
»Von einem Problem kann man wohl kaum reden, wenn auf einer Cocktailparty die Canapés ausgehen oder zwei Tanten im gleichen Kleid auftauchen.«
Er überlegte, ob er diese Beleidigung übergehen sollte. Schließlich war sie empfindlich und kratzbürstig. Aber er konnte es nicht so einfach schlucken. »Meinst du etwa, es gäbe keine persönlichen Probleme mehr, wenn man Geld hat? Glaubst du, Geld nähme den Verletzungen ihren Stachel und mache allen Tragödien den Garaus? Das ist sehr oberflächlich, Lena.«
»Ich bin halt oberflächlich. Das liegt bei uns im Blut.«
»Das ist Bockmist, aber du hast das Recht, dich im Selbstmitleid zu baden, nachdem du fast ins Gesicht geschlagen worden wärst. Geld hat jedenfalls meiner Cousine Angie nicht darüber hinweggeholfen, dass ihr Ehemann sie und seine Geliebte im selben Monat geschwängert hat. Meiner Tante hat es auch nichts gebracht, als ihre Tochter an ihrem achtzehnten Geburtstag bei einem Autounfall ums Leben kam. Das Leben kann einen fertig machen, egal wie viel Einkommensteuer man zahlt.«
Sie blieb stehen und nahm sich vor, sich zusammenzureißen. »Entschuldige. Sie schafft es immer wieder, mich in eine Stimmung zu versetzen, die mich gesellschaftsuntauglich macht.«
»Ich bin nicht deine Gesellschaft.« Ehe sie ihm ausweichen konnte, nahm er ihr Gesicht in seine Hände. »Ich liebe dich.«
»Hör auf damit, Declan.«
»Kann ich nicht.«
»Ich tu dir nicht gut. Ich tu keinem gut und ich will auch nicht gut tun.«
»Das ist der Schlüssel, nicht wahr?«
»Ja.« Er griff hinunter und hob den Schlüssel hoch, den sie um ihren Hals trug. »Es war kein Mann, sondern eine Frau, die dir das Herz gebrochen hat. Jetzt möchtest du es verschließen und der Liebe, die man dir entgegenbringt, den Zugang versperren. Du willst sie nicht erwidern müssen. Weil es sicherer ist. Wenn du nicht liebst, ist es egal, wenn der andere wieder geht. Aber das macht dich zum Feigling.«
»Was soll's?« Sie schob seine Hände weg. »Es ist mein Leben. Ich lebe es so, wie ich möchte, und komme gut damit zurecht. Du bist ein Romantiker, cher. Unter all deiner Yankee-Vernunft, dieser teuren Ausbildung bist du ein Träumer. Ich gebe nichts auf Träume. Nur das, was ist, zählt. Irgendwann wirst du aufwachen und dich in diesem großen alten Haus im Nirgendwo fragen, was du dir eigentlich bei der ganzen Geschichte gedacht hast. Und du wirst nach Boston abhauen, dich wieder deinem Anwaltsberuf widmen, eine Klassefrau namens Alexandra heiraten und ein paar hübsche Kinder haben.«
»Du hast die Golden Retrievers vergessen«, meinte er nachsichtig.
»Oh.« Sie warf die Hände hoch. »Merde!«
»Ich stimme dir voll und ganz zu. Erstens, die einzige Alexandra, die ich kenne, hat ein Pferdegebiss. Sie macht mir Angst. Zweitens, und sehr viel bedeutsamer, Angelina, ich werde mein Leben hier draußen in diesem großen alten Haus zusammen mit dir leben. Ich werde mit dir eine Familie aufbauen, genau hier. Über die Golden Retrievers können wir noch reden.«
»Und wenn du es immer und immer wieder sagst, wird es deshalb auch nicht wahr.«
Jetzt grinste er, weiß und breit. »Wetten?«
Er hatte was, wenn er sich so gab, das wurde ihr klar. Etwas Starkes und auch ein wenig Beängstigendes, wenn über seinem dickschädeligen Zementkern die Freundlichkeit aufblitzte.
»Ich muss zur Arbeit. Halt dich einfach eine Weile von mir fern, hörst du? Ich bin zu verwirrt, um mich mit dir abzugeben.«
Er ließ sie gehen. Für den Augenblick reichte es ihm, dass ihr Zorn auf ihn die Tränen getrocknet hatte, die in ihren Augen geschimmert hatten.
15
New Orleans
1900
Julian war betrunken, sein bevorzugter Zustand. Im Schoß hatte er eine halb nackte Hure sitzen, deren schwere Brust er in der Hand hielt. Der alte Schwarze am Klavier spielte eine hektische Melodie, die sich in Julians Kopf auf angenehme Weise mit wildem Frauenlachen verband.
Zigarrenrauch brannte in der Luft und sorgte dafür, dass er langsam selbst Lust auf Tabak bekam. Aber sein Grips reichte weder dazu, sich eine Zigarre zu beschaffen noch die Hure nach oben zu schleppen.
Die Tatsache, dass er pleite war – wieder einmal –, kümmerte ihn nicht übermäßig. Schließlich suchte er dieses Bordell regelmäßig auf und hatte es noch jedes Mal geschafft, genügend Geld zusammenzukratzen, um seine Rechnungen zu bezahlen. Für den Augenblick war
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