Mitten in der Nacht
sein Kredit hier recht gut.
Die Prostituierte hatte er sich ausgesucht, weil sie blond und üppig gebaut und hirnlos war. Somit konnte er sich einreden, dass ihn später, wenn er sie ritt, nicht Abigails Gesicht anstarrte.
Diesmal nicht.
Er trank einen Schluck Bourbon und kniff die Blonde in ihre Brustwarze. Sie quiekte und gab ihm einen verspielten Klaps auf die Hand. Als Lucian eintrat, grinste er ihn an.
»Mein heilig gesprochener Bruder.« Obwohl ihm diese Worte nur schleppend über die Lippen kamen, schmeckten sie ihm bitter auf der Zunge. Julian spülte mit Whiskey nach, während er Lucian beobachtete, der auf die Einladung einer Rothaarigen mit einem Kopfschütteln reagierte.
Durch den Rauchschleier und vor dem Hintergrund der grellen Farben wirkte Lucian blass und untadelig inmitten all des heiseren Lärms, fand Julian.
Und er fragte sich, ob Kain Abel auch so gesehen hatte und dabei den gleichen gewaltigen Ekel empfunden hatte, der ihn jetzt überkam.
Er wartete ab, ließ die Blonde auf seinem Knie hopsen und drückte ihre Brust, während Lucian sich im Salon umsah. Als ihre Augen sich trafen – identische Augen –, kam es zu einem Aufprall. Julian hätte schwören können, ihn in seinem Kopf gehört zu haben. Den Klang zweier im Kampf aufeinander treffender Schwerter.
»Was soll das?«, sprach er Lucian an, als dieser auf ihn zukam. »Machst du dich jetzt doch endlich mit uns übrigen Sterblichen gemein? Mein Bruder braucht einen Drink – einen Drink und eine Frau für mon frère!«, rief er. »Obwohl ich bezweifle, ob er überhaupt weiß, was er damit anfangen soll.«
»Du beschämst dich selbst und deine Familie, Julian. Man hat mich geschickt, um dich nach Hause zu bringen.«
»Es beschämt mich nicht, eine Hure zu bezahlen.« Julian setzte sein Glas ab und strich der Blonden mit der Hand über den Schenkel. »Würde ich jedoch eine heiraten, wäre das was anderes. Aber auch in diesem Punkt, wie in so vielen anderen auch, hast du mich übertroffen, Bruder.«
Lucian wich die Farbe vollends aus dem Gesicht. »Du wirst an diesem Ort nicht von ihr sprechen.«
»Mein Bruder hat eine Schlampe aus den Sümpfen geheiratet«, erzählte er im Plauderton und riss die Blonde zurück, die von seinem Schoß rutschen wollte. Er spürte ihr Herz unter seiner Hand, spürte es heftig klopfen, da die aufgeheizte Stimmung zwischen ihm und seinem Bruder die Angst schürte.
Und ihre Angst erregte ihn wie keine der Versprechungen, die sie ihm ins Ohr geflüstert hatte.
»Lucian, der Stolz der Manets, hat sein Flittchen mit in unser Heim gebracht, und jetzt verzehrt er sich und winselt, weil sie ihn wegen eines anderen verlassen und ihm ihr Bankert aufgehalst hat.«
Er musste es glauben. Den ganzen Winter über hatte er den Blick ihrer starren Augen, das Geräusch, das ihr Körper machte, als er nass ins Delta glitt, in einem Ozean aus Bourbon ertränkt.
Er musste es glauben oder er würde wahnsinnig werden.
»Allez«, befahl Lucian der Blonden. »Gehen Sie.«
»Mir gefällt sie da, wo sie ist.« Als sie sich loszumachen versuchte, krallte Julian seine Hände in ihre Arme.
Keinem von ihnen fiel auf, dass es im Raum still wurde, das Klavier verstummte und das Gelächter erstarb. Lucian zog die Blonde von Julians Schoß. Noch während Lucian Julian vom Stuhl hochhievte, schoss sie wie ein Kaninchen davon.
»Meine Herren.« Die Dame des Hauses rauschte heran. Gefolgt von einem riesenhaften Mann im makellosen Abendanzug. »Wir wünschen keinen Ärger hier, Monsieur Julian«, gurrte sie und ließ ihre Hand vertraulich über seine Wange gleiten. Aber ihre Augen waren eisig. »Gehen Sie jetzt mit Ihrem Bruder, mon cher ami. Das ist nicht der richtige Ort für Familiendramen.«
»Selbstverständlich. Entschuldigen Sie bitte.« Er nahm ihre Hand und küsste sie. Dann wandte er sich um und sprang Lucian an.
Der Tisch und die Lampe, auf die sie fielen, gingen zu Bruch. Während die Leute davonstürzten und die Frauen kreischten, wälzten sie sich, mit den Fäusten um sich schlagend, auf dem Boden und schnappten wie Hunde nacheinander, weil der Jähzorn eines ganzen Lebens sich bei beiden Bahn brach.
Der Rausschmeißer ging dazwischen und zog Julian an seinen Manschetten hoch. Im Schnellschritt beförderte er ihn zur Tür und warf ihn hinaus. Lucian hatte sich gerade erst wieder auf Hände und Knie hochgerappelt, als er ebenfalls hochgehoben wurde.
Flüche und Schreie folgten ihnen hinaus auf die Straße.
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