Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt
mit?“
Van Oss schüttelte den Kopf. „Ihr? Wen meinst du mit Ihr? Ich bin ganz alleine.“ Wieder hörte er sich ein bisschen jämmerlich an. „Wir machen das zusammen. Wenn der Sturz kein Unfall war, ist es ja ziemlich wahrscheinlich, dass Kollers Tod mit dem Überfall zu tun hat, oder?“
Er rieb sich die Augen. Linda Vergeest und Vincent Grube hatten keinen guten Ruf, wenn es um Zusammenarbeit ging. Am liebsten wäre es ihm, die Obduktion würde eindeutig auf einen Unfall hinweisen.
Spontan traf er eine Entscheidung und schaute zu Grube hinüber.
„Das Beste wird sein, wenn du die Fäden in der Hand behältst.“
Eine kleine Pause entstand. Grube nickte.
„Okay! Im Augenblick werden wir die Obduktion und das Ergebnis der Spurenlage abwarten müssen.“ Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor zwei. „Wir treffen uns früh um acht im Präsidium.“
Joop nickte. „Ich habe ein Foto gesehen. Weißt du was über Kollers Angehörige? Das müssten wir vielleicht heute noch klären.“
Grube sog Luft ein. „Scheiße. Er hat Frau und Kinder.“
Er blickte zum anderen Ende der Halle. „Also, ich bin in so was nicht gut.“
„Da ist keiner gut drin!“ Abwartend betrachtete Joop Grubes hohe Gestalt. Linda rettete ihn.
„Ich mach das. Wir waren heute Morgen schon bei ihr. Wenn ich das richtig einschätze, nimmt sie es wahrscheinlich nicht allzu schwer.“
Joop spielte nachdenklich am Reißverschluss seiner edel verwitterten Lederjacke. Dann steckte er die Hände in die Taschen und zog die Autoschlüssel heraus. „Ich komme mit.“
Die Straße war wie ausgestorben, der Hinterhof nicht beleuchtet. In einigen Fenstern flackerte bläuliches Fernsehlicht. Linda schaltete ihre Taschenlampe ein und ging auf die Haustür zur Linken zu. Auch um diese Zeit stand sie einen Spaltbreit auf. Linda versuchte sie hinter sich zu schließen, aber der Rahmen war verzogen. Im stockdunklen Flur roch es jetzt nach gekochtem Kohl. Linda leuchtete auf das Geländer.
„Besser nicht anfassen. Absturzgefahr!“
Als sie den Klingelknopf drückte, hörten sie das Schrillen in der Kollerwohnung. Linda wollte schon ein zweites Mal drücken, als Joop sie zurückhielt. Sie hörten Schritte. Wie am Vormittag öffnete die Frau die Tür nur einen Spaltbreit und spähte durch die Öffnung.
„Wir sind es noch einmal, Frau Koller. Machen Sie bitte auf.“
„Aber mein Mann ist nicht hier, so glauben Sie mir doch!“
„Das wissen wir, Frau Koller. Wir müssen mit Ihnen reden.“
Die Frau öffnete. Im Lichtschein von Lindas Taschenlampe sah van Oss, dass sie einen verwaschenen gelben Bademantel trug und barfuß war. Er nahm die Verletzungen im Gesicht und den notdürftigen Verband um den linken Knöchel wahr.
Linda sprach es aus. „Frau Koller, Ihr Mann ist tot.“ Die Frau senkte den Kopf. Wie eine Statue stand sie im Lichtkegel der Taschenlampe, sich an der Türklinke festhaltend. Totenstill. Joop war für einen Augenblick versucht, Linda die Taschenlampe zu entreißen oder die Frau herauszuziehen aus dieser entblößenden Helligkeit. Dann trat er zwischen die beiden Frauen und machte so dieser absurden Szene ein Ende.
„Frau Koller, können wir einen Moment hereinkommen?“
Sie hielt den Kopf gesenkt, ging aber einen Schritt zur Seite und gab die Tür frei. Auch die Wohnung war dunkel.
Sie gingen den Gang entlang ins Wohnzimmer. Es war kalt. Die Frau machte kein Licht. Erst jetzt fiel Linda wieder ein, dass es keinen Strom gab.
Joop konnte das Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen. „Frau Koller, könnten Sie bitte Licht machen.“
Jetzt kam Leben in die schmächtige Gestalt. Sie tastete den Tisch ab, nahm ein Feuerzeug und begann Kerzen anzuzünden.
„Strom abgeschaltet“, flüsterte Linda ihm zu. Van Oss brauchte fast eine Minute, bis er die Information verdaut hatte.
Linda wandte sich an Frau Koller. Ihre Stimme klang herausfordernd. „Wollen Sie gar nicht wissen, wie Ihr Mann ums Leben gekommen ist?“ Die Frau hielt, wie am Vormittag die Strickjacke, jetzt ihren Bademantel vor der Brust eng zusammengezogen. Sie räusperte sich. „Doch.“
„Wir haben ihn in einer Halle gefunden. Er ist erschlagen worden.“ Van Oss war unangenehm berührt. Warum ging Linda Vergeest so grob vor?
Frau Koller nickte still vor sich hin. Joop konnte nicht erkennen, ob die Informationen sie nicht erreichten oder ob es ihr gleichgültig waren.
Er sah sich um. Im Kerzenschein zeigte sich ein ärmliches, aber freundlich
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