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Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Titel: Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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desto unwahrscheinlicher waren sie ihm vorgekommen.
    Alles kam ihm plötzlich falsch vor. Die letzten zwei Tage – so schien es ihm – lagen wie ein Ödland zwischen den vergangenen, zufriedenen Jahren und diesem Morgen. Es war, als könne er sein bis dahin geführtes Leben nicht mehr erreichen.
    Er stand auf, sagte, er müsse ein paar Schritte gehen.
    „Ein bisschen frische Luft, dann geht es wieder.“
    Roberta blickte ihm besorgt hinterher.
    Er ging durch die Hintertür hinaus, über die kleine, geflieste Terrasse. Blumenkübel standen noch unbepflanzt unter dem Vordach. Die Erde darin war trocken und grau. Er nahm den schmalen Plattenweg um das Haus herum in die Fußgängerzone. Die Sonne kämpfte mit den letzten durchscheinenden Wolkenresten. Der Morgen war deutlich wärmer als in den letzten Tagen, und es regnete nicht mehr. Die Digitalanzeige an der Sparkasse zeigte sechzehn Grad. Vielleicht wurde es jetzt endlich Frühling. Der Gedanke hätte ihn vor drei Tagen noch gefreut. Heute lag er taub in seinem Kopf.
    Sie hatten Koller nicht töten wollen, ganz bestimmt nicht.
    Er ging die Fußgängerzone hinunter. Nur vereinzelt kamen ihm Menschen entgegen. Ein junger Mann mit Kinderwagen. Eine Frau mit Hut und Hund.
    Immer wieder ließ er den Nachmittag vor seinem inneren Auge ablaufen. Sie waren an dem Depot vorbeigefahren, diesen riesigen Hallen mit den Bussen der Niag. Er versuchte sich zu erinnern, ob er jemanden gesehen hatte. Aber nein. Nein, da war niemand gewesen. Wenn er alles richtig in Erinnerung hatte, wussten nur er und Luigi von diesem Besuch bei Koller. Die Polizei würde Luca, sobald es ihm besser ging, sicher noch einmal befragen. Er musste ihm klarmachen, dass er auf keinen Fall von Koller sprechen durfte. Vielleicht ergab sich nachher, bevor er Luigi und Despina zum Flughafen brachte, noch eine Gelegenheit.
    Er biss die Zähne zusammen und setzte sich auf die zu einem Kreis angeordneten Metallsitze am Lohengrinbrunnen.
    Erst jetzt bemerkte er, dass er auf die vernagelten Fenster des Juwelierladens starrte.
    Er beugte sich vor und legte die Ellenbogen auf die Knie. Sollten wirklich diese paar Minuten am Donnerstagabend sein ganzes Leben aus der Bahn geworfen haben?
    Wenn er den Blumenwagen wie immer selber von der Straße geschoben hätte, wäre es dann nicht passiert? Seine Gedanken wanderten immer weiter bis hin zu dem Tag, an dem er beschlossen hatte, den Wagen zu bepflanzen. Wenn er geduldig die grauen Tage abgewartet hätte, wäre es dann nicht passiert? Und weiter trieben seine Gedanken. Wenn er Luca nicht eingeladen hätte, die Wartezeit auf den Studienplatz in Deutschland zu verbringen, wäre es nicht passiert. Dieses Gedankenspiel könnte er immer weiterspinnen. Ein sinnloses Unterfangen, getrieben von dem Wunsch, an einen Punkt zu gelangen, der die Dinge ungeschehen machte.
    Sein Blick wanderte hinauf zu den Turmspitzen der Stiftskirche. Er war nicht religiös. Nicht so wie Roberta. Aber er könnte eine Kerze anzünden. Er könnte danken für Lucas Gesundheit. Und bitten. Um Vergebung bitten für Kollers Tod. Um Schutz bitten, dass sein Leben jetzt nicht völlig aus den Fugen geriet. Aber nein! In all den guten Jahren war er nur auf Robertas Wunsch zu Ostern und Weihnachten in die Kirche gegangen.
    Er stand auf, ging auf das Juweliergeschäft zu und lugte durch das linke Fenster, das sich im Rahmen hatte halten können. Die Scheibe zeigte in der unteren Hälfte Risse, die sich wie ein Spinnennetz durch das Glas zogen. Im Inneren brannte Licht. Die Trümmer waren weggeräumt. Er sah Berger im Gespräch mit einem Mann. Auf dem Boden lag ein Schild mit dem Logo eines Maklerbüros. „Zu vermieten“ stand darauf. Die Männer stritten. Vittore wandte sich ab und ging die Hagsche Straße hinauf. Der Überfall hatte Berger wohl den Rest gegeben. Es waren viele Gerüchte im Umlauf, schon seit mindestens einem Jahr. In seinen Schaufenstern waren die Auslagen immer magerer geworden. Thomas Simon, der ein kleines Schreibwarengeschäft betrieb, war an dem Ladenlokal interessiert gewesen. „Gute Lage“, hatte er gesagt, „aber der Berger spinnt. Der will für die neunzig Quadratmeter über dreitausend Euro Miete. Kann doch kein Mensch bezahlen.“
    Auf halbem Weg drehte Vittore sich noch einmal um und starrte auf das mit Sperrholz vernagelte Geschäft. Der Donnerstagabend kam ihm wie ein Fehler vor. Ein Missverständnis. Luca und er waren doch nur die Straße hinuntergerannt, weil sie es für

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