Mitternacht
nicht unbedingt mußte.
Aber es gab noch eine andere Möglichkeit: Vielleicht hatten die Außerirdischen einen so großen Teil von Moonlight Cove übernommen, daß sie es nicht mehr für nötig hielten, die Charade des alltäglichen Lebens aufrechtzuerhalten; da die endgültige Eroberung nur noch Stunden entfernt war, konzentrierten sie ihre sämtlichen Bemühungen darauf, die letzten zu suchen, die nicht besessen waren. Das war so beunruhigend, daß sie gar nicht darüber nachdenken wollte.
Als sie noch einen Block von Our Lady of Mercy entfernt waren, kletterte Chrissie auf das weiße Brett der Heckklappe. Sie schwang ein Bein darüber, dann das andere, und hielt sich mit beiden Händen am Brett fest, die Füße auf der Heckstoßstange. Sie konnte die Hinterköpfe der Eulanes durch das Fenster sehen, und wenn sie sich umdrehten oder wenn Mr. Eulane in den Rückspiegel sähe - würden sie sie entdecken.
Sie rechnete damit, von einem Passanten gesehen zu werden, der schreien würde: »He, du da, hast du den Verstand verloren, die Füße so aus dem Lastwagen hängen zu las sen?« Aber es waren keine Fußgänger unterwegs, und sie kamen ohne weitere Zwischenfälle zur nächsten Kreuzung.
Die Bremsen quietschten, als Mr. Eulane vor einem Stopschild bremste.
Als der Lieferwagen hielt, sprang Chrissie von der Heckklappe herunter.
Mr. Eulane bog an der Kreuzung links ab. Er fuhr in Richtung Thomas Jefferson Grundschule in der Palomino, ein paar Blocks südlich, wo Mrs. Eulane arbeitete und wo Chris sie an einem gewöhnlichen Dienstagmorgen im Schulzimmer der sechsten Klasse sitzen würde.
Sie lief über die Kreuzung, platschte durch das schmutzige Wasser im Rinnstein und rannte die Stufen zum Eingang von Our Lady of Mercy hinauf. Triumph wärmte sie, denn ihr war zumute, als hätte sie gegen alle Chancen eine sichere Zuflucht erreicht.
Sie hatte eine Hand auf dem Verzierten Messinggriff der geschnitzten Eichentür, und so wartete sie und sah noch ein mal nach rechts und links. Die Fenster von Geschäften, Bü ros und Wohnungen waren so frostblank wie Augen mit grauem Star. Kleinere Bäume beugten sich mit dem heftigen Wind, die größeren Bäume wogten, und das waren die einzigen Bewegungen, abgesehen vom Regen, der verweht wurde. Der Wind war ungleichmäßig, böig; manchmal hörte er damit auf, den Regen unablässig nach Osten zu peitschen, und sammelte ihn zu Schleiern, die er dann die Ocean Avenue entlang wehte; wenn sie die Augen zukniff und nicht auf die Kälte achtete, hätte sie fast glauben können, daß sie in einer verlassenen Geisterstadt war und zusah, wie Sandteufel durch die einsamen Straßen rollten.
An der Kreuzung bei der Kirche hielt ein Polizeiauto an dem Stopschild. Zwei Männer saßen darin. Keiner sah in ihre Richtung.
Sie vermutete bereits, daß man der Polizei nicht trauen konnte. Sie zog die Kirchentür auf und schlüpfte rasch hin ein, bevor sie in ihre Richtung sahen.
In dem Augenblick, als sie den eichenfurnierten Vorbau betreten hatte und die nach Weihrauch und Myrrhe duftende Luft einatmete, fühlte Chrissie sich sicher. Sie trat durch den Bogen ins Kirchenschiff, tauchte die Finger ins Weih wasserbecken zur Rechten, bekreuzigte sich und ging den Mittelgang bis zur vierten Bankreihe von hinten entlang. Sie machte einen Knicks, bekreuzigte sich noch einmal und setzte sich.
Die Messe war im Gange. Außer ihr waren nur noch zwei Gläubige anwesend, und das schien eine skandalös armselige Anzahl zu sein. Es war natürlich so, daß ihre Eltern, soweit sie sich erinnern konnte, sie zwar immer zur Sonntagsmesse mitgenommen hatten, sie aber nur einmal im Leben werktags zur Messe brachten, was schon vier Jahre her war, daher wußte sie nicht, ob für gewöhnlich mehr Leute zur Messe an Werktagen kamen. Sie vermutete jedoch, daß die Anwesenheit der Außerirdischen - oder Dämonen, was auch immer - in Moonligt Cove für die geringe Besucherzahl verantwortlich war. Zweifellos waren Außerirdische aus dem Weltall gottlos oder, noch schlimmer, beteten ein dunkle Gestalt an, die Yahgag oder Scogblatt oder so ähnlich hieß.
Sie stellte überrascht fest, daß der Priester, der die Messe mit Unterstützung eines Meßknaben - las, nicht Pater Castelli war. Es war der junge Priester - der Dekan, wie sie ihn nannten -, den die Erzdiezöse Pater Castelli im August zugeteilt hatte. Sein Name war Pater O'Brien. Sein Vorname war Tom, und er folgte dem Beispiel seines Vorgesetzten und bestand manchmal
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