Mitternacht
Pforte.
Das zweistöckige Haus war ganz aus Backsteinen erbaut, mit Schwellen aus gemeißelten Granit und einer weißgestrichenen Veranda mit vorstehenden Erkern, und es sah re spektabel genug für die Behausung eines Priesters aus. Die alten Bäume am Weg schützten sie vor dem Regen, aber sie war schon durchnäßt. Als sie die Veranda erreicht hatte und zur Eingangstür ging, erzeugten ihre Tennisschuhe schmatzende Geräusche.
Als sie gerade auf den Klingelknopf drücken wollte, zö gerte sie. Sie hatte Angst, daß sie in einen Unterschlupf der Außerirdischen spazieren könnte - eine unwahrscheinliche Vorstellung, die man aber nicht leichtfertig von der Hand weisen sollte. Außerdem überlegte sie, daß Pater O'Brien möglicherweise die Messe las, damit sich Pater Castelli, der immer hart arbeitete, ein seltenes Schläfchen gönnen konnte, und sie wollte ihn auf gar keinen Fall stören, wenn das der Fall war.
Die junge Chrissie, dachte sie, war unbestreitbar mutig und schlau, aber trotzdem so höflich, daß es ihr schlecht bekam. Während sie auf der Veranda des Priesters stand und über die Anstandsregeln für einen Besuch am frühen Morgen nachdachte, wurde sie plötzlich von sabbernden Außerirdischen mit neun Augen gepackt und auf der Stelle verspeist. Glücklicherweise war sie so tot, daß sie nicht mehr hören konnte, wie sie rülpsten und furzten, nachdem sie sie gegessen hatten, denn ihr Gefühl für Anstand wäre davon sicherlich aufs Gröbste verletzt worden.
Sie klingelte. Zweimal.
Einen Augenblick später tauche eine schemenhafte und seltsam unförmige Gestalt hinter den diamantförmigen, gesprungenen Scheiben der oberen Türhälfte auf. Sie hätte sich beinahe herumgedreht und wäre weggelaufen, sagte sich aber, daß das Glas das Bild verzerrte und die Gestalt dahin ter gar nicht mißgebildet war.
Pater Castelli machte die Tür auf und blinzelte überrascht, als er sie sah. Er trug schwarze Hosen, ein schwarzes Hemd, den Priesterkragen und eine fadenscheinige graue Jacke, also hatte er Gott sei Dank, nicht fest geschlafen. Er war klein, etwa einen Meter siebzig groß, und rundlich, aber nicht richtig dick, mit schwarzem Haar, das an den Schläfen grau wurde. Nicht einmal seine kühne Hakennase konnte die Wirkung seiner ansonsten weichen Züge beeinflussen, die ihm ein sanftes und gütiges Aussehen verliehen.
Er blinzelte noch einmal - Chrissie sah ihn das erste Mal ohne seine Brille - und sagte: »Chrissie?« Er lächelte, und sie wußte, sie hatte richtig gehandelt, als sie zu ihm gekommen war, denn sein Lächeln war gütig und offen und herzlich. »Was führt dich denn so früh und bei diesem Wetter hierher?« Er sah an ihr vorbei auf die Veranda und den Fußweg dahinter. »Wo sind deine Eltern?«
»Pater«, sagte sie und war nicht überrascht, ihre Stimme brechen zu hören, »ich muß mit Ihnen reden.«
Sein Lächeln erlosch. »Ist etwas geschehen?«
»Ja, Pater. Etwas Schreckliches. Etwas furchtbar Schreckliches.«
»Dann komm herein, komm herein. Du bist ja tropfnaß!« Er führte sie in die Diele und machte die Tür zu. »Mein liebes Kind, was soll das alles bedeuten?«
»Außerirdische, P-p-pater«, sagte sie, und die Kälte ließ sie stottern.
»Komm mit in die Küche«, sagte er. »Das ist der wärmste Raum im Haus. Ich habe gerade das Frühstück gemacht.«
»Ich ruiniere den Teppich«, sagte sie und deutete auf den Läufer, der durch den ganzen Flur lag, und Eichendielen rechts und links davon.
»Oh, mach dir deshalb keine Sorgen. Er ist alt, hält aber jede Mißhandlung aus. So wie ich! Möchtest du heiße Schoko lade? Ich mache gerade Frühstück, und auch einen Topf dampfend heißen Kakao.«
Sie folgte ihm dankbar durch den spärlich erleuchteten Flur, der nach Zitronenpolitur und Holzdesinfektionsmittel und ganz schwach nach Weihrauch roch.
Die Küche war anheimelnd. Ein ausgetretener gelber Linoleumboden. Hellgelbe Wände. Dunkle Holzschränke mit Porzellangriffen. Graue und gelbe Arbeitsplatten aus Kunststoff. Es gab Geräte - Kühlschrank, Herd, Mikrowelle, Toaster, elektrischer Dosenöffner - wie in jeder anderen Küche auch, was sie überraschte, aber als sie eingehender darüber nachdachte, wußte sie nicht zu sagen, warum sie gedacht hatte, es wäre anders. Auch Priester brauchten Küchengerä te. Sie könnten nicht einfach Engel herbeirufen, damit diese ihnen Toast rösteten oder ein Wunder vollbrächten und einen Topf heiße Schokolade machten.
Es roch
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