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Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Menschen einmal versagt, und die Schuld an diesem Versagen lag häufig nicht einmal beim Menschen selbst, sondern im Wirken des Schicksals. Wenn er versagte, mußte er lernen, nicht nur weiterzumachen, sondern mit Freuden weiterzumachen. Er durfte nicht zulassen, daß das Scheitern ihm die ganze Lebensfreude nahm. Eine solche Abkehr vom Leben war blasphemisch, wenn man an Gott glaubte - und regelrecht dumm, wenn man es nicht tat. Es war, als würde man sagen: >Die Menschen versagen, aber ich sollte nicht versagen, denn ich bin mehr als ein Mensch, ich bin irgendwo da oben zwischen den Engeln und Gott.< Er sah ein, warum er Scott verloren hatte: weil er selbst die Liebe zum Leben verloren hatte, seinen Sinn für Humor, und er hatte nichts Bedeutsames mehr mit dem Jungen teilen können - oder Scotts Absinken in Nihilismus aufhalten, als es angefangen hatte.
    Hätte er im Augenblick seine Gründe zu leben aufgezählt, hätte die Liste mehr als vier Punkte gehabt. Es wären Hunderte gewesen. Tausende.
    Das alles begriff er innerhalb eines Augenblicks, während er Chrissies Hand hielt, als wäre das Verrinnen der Zeit durch eine Eigenheit der Relativität gedehnt worden. Ihm wurde klar, wenn er das Mädchen oder Tessa nicht retten könnte, aber selbst mit heiler Haut davonkäme, würde er trotzdem Freude über seine eigene Rettung empfinden und weiterleben müssen. Ihre Situation war dunkel und sie hatten wenig Hoffnung, aber er befand sich dennoch in einer solchen Hochstimmung, daß er beinahe laut gejauchzt hätte. Der lebende Alptraum, den sie in Moonlight Cove durchmachten, hatte ihn durch und durch erschüttert und ihm simple Wahrheiten eingebleut, Wahrheiten, die einfach wa ren und die er in den langen Jahren der Qual mühelos hätte sehen müssen, die er aber trotz ihrer Einfachheit und seiner eigenen bisherigen Dickköpfigkeit dankbar zur Kenntnis nahm. Vielleicht war die Wahrheit immer einfach, wenn man sie einmal gefunden hatte.
    Ja, gut, vielleicht konnte er jetzt weiterleben, auch wenn er in seiner Verantwortung anderen gegenüber versagte, selbst wenn er Chrissie und Tessa verlöre - aber, verdammte Scheiße, er würde sie nicht verlieren. Der Teufel sollte ihn holen, wenn er es tat.
    Der Teufel sollte ihn holen.
    Er hielt Chrissies Hand und tastete sich vorsichtig an dem gemauerten Kanal entlang, und er war dankbar für die vergleichsweise Unebenheit des Bodens und seine moosfreie Oberfläche. Das Wasser war gerade so hoch, ihm einen Ein druck des Schwebens zu verschaffen. Das machte ihm schwerer, einen gerade gehobenen Fuß nach unten zu brin gen. Daher lief er nicht, sondern schleifte die Füße mehr über den Grund.
    Nach wenigen Minuten erreichten sie Eisensprossen, die ins Mauerwerk der Kanalwand betoniert waren. Tessa gesellte sich zu ihnen, und sie hingen alle eine Weile nur da, hielten die Stäbe umklammert und waren dankbar für ihre Festigkeit und den Halt, den sie boten.
    Ein paar Minuten später, als der Regen unvermittelt nachließ, war Sam bereit weiterzugehen. Er achtete sorgfältig darauf, daß er nicht auf Chrissies oder Tessas Hände trat, als er ein paar Stufen hinaufstieg und auf die Straße sah.
    Außer dem Nebel bewegte sich nichts.
    Dieser Abschnitt des offenen Wasserlaufs führte an der Central School von Moonlight Cove vorbei. Der Sportplatz war nur ein paar Schritte von ihm entfernt, und hinter die sem offenen Gelände, in Dunkelheit und Nebel kaum sichtbar, befand sich das Schulgebäude selbst, das lediglich von ein paar trüben Sicherheitslampen erhellt wurde.
    Das Gelände war von einem zweieinhalb Meter hohen Maschendrahtzaun umgeben. Aber davon ließ sich Sam nicht einschüchtern. Zäune hatten immer irgendwann ein mal Türen.

7
    Harry wartete auf dem Dachboden, hoffte auf das Beste und rechnete mit dem Schlimmsten.
    Er lehnte an der Außenwand der langen, dunklen Kammer, in der Ecke, die am weitesten von der Falltür entfernt war, durch die er heraufgebracht worden war. Es gab nichts in dem Raum, hinter dem er sich hätte verstecken können.
    Aber wenn jemand so weit ging, den Kleiderschrank neben dem Schlafzimmer auszuräumen, die Klappe hinunterzuziehen, die Treppe herunterzuklappen und den Kopf durch die Luke zu stecken, würde er vielleicht nicht so gewissenhaft sein und in jeder Ecke des Raumes nachsehen. Wenn er beim ersten Kreisen der Taschenlampe nur kahle Dielen und wuselnde Spinnen sah, würde er sie vielleicht abschalten und wieder hinuntergehen.
    Das war

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