Mitternachtserwachen
die Türklinke und schalt sich für ihre Hoffnung, dass es Lior wäre. Doch die Ausdünstung nach Tod und Verwesung verriet ihr, wer es war.
Ralph reichte ihr galant den Arm, der in einer Smokingjacke steckte. Das Grauen kam perfekt gekleidet zu seinem Fest des Todes.
Die Marbhadair in ihr ergötzte sich an dem Gestank, erfreute sich an seiner steinernen Aura. Ralph schien es zu merken, denn er lächelte sie an.
„Bekämpfe es nicht, Liebes. Die Marbhadair in dir ist zum Fressen.“ Er lachte über den eigenen Witz, und der scheppernde Laut lief ihre Wirbelsäule hinauf, brachte ihre Haut zum Prickeln, und ihr Magen fuhr einen brennenden Ritt auf der Achterbahn des Schicksals.
Es war kalt an diesem Ort. So musste es sich anfühlen, wenn man in ein Grab eingeschlossen wurde, die Wände einen mitleidslos erdrückten und man schrie, bis einen endlich der gnädige Tod ereilte. Ihre Stirn brannte. Der Schmerz suchte sich den Weg durch ihren Körper, und als sie den Speisesaal betraten, hatte sie beinahe vergessen, dass sie Ralph verabscheute.
Goldene Kerzenhalter, bestückt mit weißen Kerzen, zierten Tisch und Anrichten. Eine Damasttischdecke bedeckte den langen Tisch, und cremefarbene Rosen formten feudale Gestecke. Doch all der Prunk verblasste, da Aileen nur Augen für die beiden obszönen Monstrositäten hatte, die an dem opulent gedeckten Tisch saßen. Verdorrt und verschrumpelt hockten sie auf den Brokatstühlen, strahlten eine Bösartigkeit aus, die ihr den Atem raubte, sie lähmte und einen Fluchtreiz in ihr weckte, als wäre sie eine Antilope, hinter der ein Rudel Hyänen herjagte. Das einzige Lebendige in den lederartigen Körpern waren ihre Augen, die wie Bernsteine glühten, durchzogen von roten Flecken. Die Marbhadair in Aileen verlangte von ihr, an den Tisch zu stürzen und die Urmarbhadair und den Hexer in die Arme zu ziehen – die Schöpfer der Marbhadair.
Widerstehe, Aileen. Kämpfe dagegen an. Du kannst die Kraft in dir beherrschen, denn du bist gut , flüsterte die besänftigende Stimme in ihrem Kopf.
Ralph entzog ihr den Arm, und sie zwang sich, an den Tisch zu treten, sank auf die Knie und senkte respektvoll den Kopf. Sie zuckte nicht zusammen, selbst als die beiden Mumien hölzern aufstanden, ihre Arme ausstreckten und sie an der Stirn berührten.
Wie Maden krochen ihre Finger über Aileens Haut. Ihre Stirn, die vorher gebrannt hatte, explodierte förmlich vor Agonie, als die Kraft in ihr in ihrer ganzen Stärke zum Leben erwachte – lodernd, heiß und auf dem Weg durch ihre Nervenbahnen alles versuchte, um das Gute in ihr auszulöschen.
Tränen rannen ihre Wangen hinunter, und als sie das Nass wegwischte, sah sie, dass sie Blut weinte. Die Mumien wurden rastlos bei dem Anblick, sodass Aileen befürchtete, sie würden über sie herfallen, sie auf der Stelle töten. Sie sammelte die Energie in sich, kontrolliert und kühl, doch Marbhada und Dair ließen von ihr ab.
Ralph umfasste Aileens Schultern. „Du weißt jetzt ihre Namen, hast sie als deinesgleichen anerkannt“, flüsterte er mit seiner schabenden Stimme dicht an ihrem Ohr. „Sieh sie an, erfahre unseren Plan, Liebes. Es ist eine Ehre!“
Aileens Blick fesselte sich förmlich an den von Marbhada, obwohl sie die Lider schloss, denn zu intensiv waren die Erinnerungen der Urmarbhadair, die sie gerade erlebte, als säße sie in einem 3-D Kino der Zukunft, umgeben von einem perfekten Hologramm, und wäre ein Teil des Films.
Aileen durchlitt den Schmerz, den Marbhada und Dair erlitten hatten, als die Andersartigen ihre Kinder von der Erde wischten, bis nur noch eins übrig war. Um sie zu retten, holten sie ihre letzte reine Tochter zu sich in ihre Ruhestätte. Doch ihre Kräfte waren zu schwach, um sie selbst zu retten, und sie verstarb. Der Hass loderte während der Jahrhunderte in Marbhada und Dair, sogar als ihre Körper verfielen. Sie wollten Rache und würden sie auch eines Tages bekommen. Unbemerkt von den Andersartigen lebten unreine Mischlinge auf der Erde, die das Erbgut der Marbhadair in sich trugen. Also warteten sie all die Jahre, dass jemand sie erwecken würde, spannen im Verborgenen ihre Fäden und vergifteten im Dunklen einige Seelen, die empfänglich waren für das Böse. Als das Urchaid erwachte, sahen sie ihre Stunde gekommen, aber das Urchaid war zu kümmerlich und verlor die Schlacht.
Doch genug blieb zurück, um Marbhada und Dair zu stärken. Sie warteten auf Nachfahren, die ihr Gen ganz schwach in sich
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