Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
zum Schmunzeln über so viel weibliche Naivität und Romantik bringen, allerdings konnte er sich einen so langen Aufschub kaum leisten. Er hätte sich auf Julias unsinnige Bitte niemals einlassen dürfen.
„Oh, mein Herz, das klingt wirklich schön, aber wollt Ihr mich diesen langen Winter, der noch nicht einmal begonnen hat, auf Eure Liebe und Zuneigung warten lassen? Ich hatte gehofft, Weihnachten mit Euch in London zu verbringen. Cornwall ist im Winter immer so ungemütlich, findet Ihr nicht auch?“, versuchte er die junge Frau umzustimmen.
Julia strich sich die goldenen Locken, welche ihrem dicken Zopf entglitten waren, aus dem Gesicht. Dabei versuchte sie unauffällig ihre Hand aus Gregorys Griff zu befreien und setzte ein müdes Lächeln auf. Ihr Verlobter schaute sie ungeduldig an. Und das, obwohl er eigentlich immer so aussah, als wäre ihm jegliche Emotion abhanden gekommen. Gregory war nun wirklich nicht ihr Traummann, aber er war der Liebling ihres Vaters. Der Sohn, den dieser niemals hatte. Bereits vor drei Jahren hatte ihr Vater sie mit Gregory verloben wollen, dennoch war Julia mit ihren inzwischen zweiundzwanzig Jahren noch immer nicht verheiratet. Damals war Julias Mutter Sophia bei einem tragischen Reitunfall ums Leben gekommen. Natürlich war es für alle Beteiligten unmöglich gewesen, nach diesem schrecklichen Schicksalsschlag eine Verlobung zu feiern. Darum war der Termin um ein Jahr verschoben worden. In dieser Zeit war Gregory nicht von ihrer Seite gewichen, oder vielmehr von der Seite ihres Vaters. Dieser hatte in seiner Trauer immer mehr dem Alkohol zugesprochen und einzig sein künftiger Schwiegersohn hatte es geschafft, zu ihm durchzudringen. Julia erkannte ihren Vater kaum mehr wieder. Der einst so ausgeglichene Lord verwandelte sich immer mehr in einen jähzornigen, wütenden Mann. Er knechtete seine Lehnsleute und ließ ihnen kaum das Nötigste zum Leben. Julia versuchte immer wieder ihn dazu zu bewegen, sich seiner Leute besser anzunehmen, doch Gregory stellte ihre Sorgen stets als unbegründet dar.
Ein knappes Jahr später hatten sie ihre Verlobung gefeiert und nun, fast zwei Jahre später, konnte Julia die Ungeduld ihres zukünftigen Ehemannes tatsächlich verstehen. Trotzdem konnte sie sich nicht dazu überwinden, diesen Schritt zu tun. Und jetzt auch noch das: Er wollte Cornwall mit ihr verlassen. Das war unmöglich. Sie musste noch mehr Zeit gewinnen.
„Aber Gregory, Ihr habt es mir versprochen. Ich möchte ja Eure Frau werden, aber erst im Frühling. Ihr müsst bedenken, wie viel Zeit es kosten wird, alles vorzubereiten, um so ein Fest auch standesgemäß zu feiern. Aber ich werde mich in den nächsten Tagen für einen Termin entscheiden und mir auch zum Fest einige Gedanken machen. Seid Ihr damit einverstanden?“
Was sollte Greg dazu noch sagen. Natürlich würde die Vorbereitung mindestens ein halbes Jahr in Anspruch nehmen, aber er wusste wirklich nicht, wie er diese lange Zeit noch überbrücken sollte.
„Nun gut, mein Herz, was immer Ihr Euch wünscht. Haltet mich nur nicht noch länger hin, denn sonst …“
„Ah, Greg, mein Junge, da bist du ja. Ich habe schon nach dir gesucht. Julia, Liebes, entschuldige bitte, dass ich dir deinen Verlobten entführe, aber ich habe Geschäftliches mit ihm zu besprechen.“
Lord Hayes kam den Gang entlang und wirkte erleichtert, Greg endlich anzutreffen. Sein unsteter Blick zeigte Julia, dass ihr Vater dringend einen Schluck Brandy benötigte. Trotzdem lächelte sie ihn an und küsste ihn leicht auf die Wange.
„Hallo Vater, das macht nichts, ich war sowieso gerade auf dem Weg in die Küche. Heute machen wir Kerzen.“
„Nathan du solltest deiner Tochter untersagen, sich an der Dienstbotenarbeit zu beteiligen. Das ist wirklich unschicklich. Und sieh dir nur ihre Aufmachung an“, beschwerte sich Gregory.
Julia war kein bisschen beleidigt über die Kritik an ihrer Kleidung, schließlich hatte sie ganz bewusst ihr ältestes Hauskleid gewählt und sich die langen Haare zu einem strengen Zopf geflochten. Sie fand es selbstverständlich, bei so wichtigen Arbeiten zur Hand zu gehen.
Viel mehr störte sie sich nach wie vor über die vertraute Art zwischen ihrem Vater und ihrem Verlobten, obwohl sie es doch inzwischen schon gewohnt war. Ihr Vater nannte seinen Schwiegersohn freundschaftlich Greg, während dieser ebenfalls auf die förmliche Anrede verzichtete und ihn mit dem Vornamen ansprach. Sie selbst hatte es bisher
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