Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
übers Gesicht. Wie weit mochte es noch bis zur Küste sein? Ein Blick in den wolkenverhangenen Himmel zeigte deutlich, dass mit einer Wetterbesserung nicht zu rechnen war. Er vermutete, dass es mindestens noch zwei Stunden bis nach Stonehaven wären. Es war zwar schon einige Jahre her - damals war er noch in seinem alten Leben gefangen gewesen - als er sich auf Einladung eines Freundes an einer Treibjagd beteiligt hatte. Dennoch erkannte er diese Gegend wieder. Durch Zufall hatte er damals hier in der Nähe eine Höhle gefunden. Er war hin und her gerissen, zwischen dem Drang, seine Jagd auf den Falken zu beginnen und dem inzwischen wirklich mächtigen Bedürfnis, aus seinen nassen Kleidern herauszukommen. Schließlich siegte die Vernunft, denn welcher Schmuggler würde schon bei so einem Wetter seinem gesetzlosen Treiben nachgehen? Darum versuchte er sich zu erinnern, wo genau die Höhle lag. Nach einer Ewigkeit, denn die Suche hatte sich als schwieriger herausgestellt, als vermutet, betrat er nun endlich den trockenen Unterschlupf. Zwei Mal war er direkt davor gestanden, ehe er den völlig überwucherten Eingang entdeckt hatte. Die Höhle war groß genug, um auch seinem Pferd Schutz zu bieten. Er band den Hengst im hinteren Teil an einen Felsvorsprung, ehe er erneut in den Regen hinaustrat.
Bei seiner Rückkehr hatte er einen Armvoll mehr oder weniger trockener Ästen dabei, die er nun mühsam zu entzünden versuchte. Als endlich eine kleine Flamme emporzüngelte, legte er rasch Holz nach. Langsam breitete sich die Wärme aus und Drew schälte sich aus seinen Kleidern. Zum Glück war die Decke in seiner Satteltasche beinahe trocken geblieben, sodass er sich darin eingewickelt, zum Schlafen niederlegte. Vermutlich war eine Strategie zur Ergreifung des Mitternachtsfalken unnötig. Er würde einfach hingehen, den Falken fangen und sich dann seine Belohnung abholen. Was sollte es dabei schon für Schwierigkeiten geben?
Kapitel 4
Julia saß zusammen mit ihrer Tante Olivia Litcott im blauen Salon und bestickte, wie es sich für eine junge Dame ihres Standes geziemte, ein Betttuch. Die verspielten Blüten, die Julias Nadel Stich um Stich auf das feine Leinen zauberte, entlockten Olivia in regelmäßigen Abständen ein zufriedenes Nicken.
„Julia, du hast ein wahrhaftes Goldhändchen, was diese Arbeiten angeht. Es ist wirklich bedauerlich, dass du dir nur so selten die Zeit dafür nimmst.“
Olivia legte ihre eigene Stickarbeit zur Seite und vertrat nun schon zum hundertsten Mal dieselbe Meinung wie Julias Verlobter, dass sich ihre Nichte viel mehr ihrer Stellung entsprechend verhalten sollte. Denn seit dem plötzlichen Tod von Julias Mutter war die Familie noch näher zusammengerückt. Nathans verwitwete Schwester Olivia war bei ihnen eingezogen, um als Anstandsdame für Julia zu fungieren. Julia liebte ihre Tante und es tat ihr sehr leid, dass es Olivia selbst nicht vergönnt gewesen war, Kinder zu bekommen, ehe ihr Gatte einer Lungenentzündung erlag und sie viel zu früh zur Witwe gemacht hatte.
„Tante Olivia, bitte, müssen wir schon wieder über dieses leidige Thema streiten?“
„Kindchen, wir müssten nicht streiten, wenn du nur endlich einsehen würdest, dass du als zukünftige Ehefrau gewisse Dinge sein lassen solltest.“
„Und was sollen das bitte für ungehörige Dinge sein, die ich besser nicht tun sollte?“, fragte Julia erzürnt.
„Nun, dieser Robby zum Beispiel, …“
Als hätte er nur auf die Nennung seines Namens gewartet, streckte plötzlich ein Junge seinen verstrubbelten Schopf zur Tür herein. Da Olivias Gesicht beim Erscheinen des Jungen eine wütende rote Färbung angenommen hatte, sprang Julia auf und eilte zur Tür.
„Bitte entschuldige Tante Olivia, wir können gerne später weiterreden“, rief sie über die Schulter zurück und schob dann das magere Bürschchen vor sich zur Tür hinaus.
„Hallo Robby, du bist spät dran heute. Komm, wir wollen keine Zeit verlieren.“
Julia gab dem Jungen einen leichten Schubs, damit dieser sich in Bewegung setzte. Mit großen Schritten ging Julia dem Kind voran in die Küche, wo auf dem Tisch in der Mitte bereits ein Teller mit Keksen und ein Becher Milch auf sie warteten.
„Heute kannst du die Kekse während unserer Stunde essen, einverstanden?“
Robby, dem schon das Wasser im Mund zusammenzulaufen schien und dessen glänzende Augen den Teller gierig fixierten, nickte nur und beeilte sich, Julia in die Bibliothek zu folgen.
Dort
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