Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
Beachtung. Sie hatte schon des Öfteren bemerkt, wie John große Augen bekam, wenn Fanny in der Nähe war.
So entfernte sie sich etwas von den beiden und gab ihrer Stute eine Möhre, die sie aus der Küche mitgebracht hatte. Leise flüsterte sie dem Pferd Liebkosungen ins Ohr, wobei ihre Aufmerksamkeit auf das ungleiche Paar gerichtet blieb.
Die schöne Fanny spielte mit ihren Reizen, strich sich verführerisch durchs Haar, lachte über eine von Johns Bemerkungen und legte ihm dabei vertraut die Hand auf den Arm. Verlegen blickte John auf seine Schuhe. Ihm war seine Aufregung anzusehen und Julia hoffte, dass er sich vor Nervosität nicht selbst in den Fuß schoss. Eine Weile trödelte sie noch herum, dann gesellte sie sich wieder zu den beiden und warf beiläufig ein:
„Mir kam gerade der Gedanke, dass John sich doch deinen Colt mal ansehen könnte. Sicher kennt er sich auch mit Eseln aus.“
Hoffnungsvoll lächelnd fragte Fanny:
„Oh John, würdest du das tun?“
„Was? Colt? Ich weiß nicht recht. Um was geht es denn?“, stotterte der Bursche nervös.
„Ach nein. Wir lassen John lieber seine Ruhe“, nahm Fanny ihre Bitte zurück, „immerhin hat er so schon genug Arbeit, da will ich ihn wirklich nicht weiter stören.“
Unter halb geöffneten Lidern blickte sie ihm tief in die Augen und fuhr sich verführerisch mit der Zunge über die Lippen.
„Was? Aber nein, ich würde Euch wirklich gerne helfen!“, versicherte er und setzte mutig nach:
„Ich würde alles für Euch tun!“
Fanny warf Julia einen bösen Blick zu. Es war ihr wirklich nicht recht, so mit seinen Gefühlen zu spielen. An John gewandt erklärte sie:
„Der Esel lahmt ein bisschen, und ich weiß wirklich nicht, wie ich ihn so nach Hause bringen soll. Womöglich hat er sich etwas eingetreten oder dergleichen.“
Beruhigend tätschelte John Fannys Hand.
„Keine Sorge. Ich sehe es mir gleich an, wenn Ihr mit dem Gefangenen fertig seid.“
„Warum so lange warten? Ich kann genauso gut allein nach dem Kerl sehen. Es ist ohnehin schon fast dunkel, und wenn John noch etwas erkennen will, dann muss er sich beeilen“, unterbrach Julia die beiden.
„Wir können ihn einfach hier hereinbringen. Da haben wir Licht“, schlug der Stallbursche vor.
„Oh, das wird nicht gehen. Colt hat furchtbare Angst vor Pferden. Wir könnten schieben und zerren, aber er würde trotzdem nicht durch das Tor gehen“, versicherte ihm Fanny.
„Jetzt stellt euch doch nicht so an!“, rief Julia, „Ich bringe ihm sein Essen, sehe nach, ob er noch am Leben ist, und versorge seine schlimmsten Verletzungen. In der Zwischenzeit seht ihr nach dem Esel. Wenn ich fertig bin, schließe ich ab und lege dir den Schlüssel hierher.“
John, der sich der Anweisung der Hausherrin kaum widersetzen konnte - und es ja auch gar nicht wollte - gab sich geschlagen. Nur zu gerne nahm er die Gelegenheit wahr, mit Fanny allein zu sein.
Erleichtert atmete Julia aus, als sich das Tor hinter den beiden schloss und sie allein im Stall zurückblieb. Ihr Herz raste. Was sie vorhatte, war wirklich mehr als wagemutig. Sie legte Johns Schlüssel wie verabredet auf den Tisch in der Sattelkammer und näherte sich der Tür zum Verlies. Da sie sich im Haus um alles kümmerte, hatte sie natürlich einen dicken Schlüsselbund, an dem sich ein passender Schlüssel für jede einzelne Tür befand. Sie schloss auf und spähte in die spärlich ausgeleuchtete Tiefe. Ehe sie es sich anders überlegen konnte, nahm sie das Verbandszeug, Essen und eine Flasche Wein. Die präparierte Flasche hingegen ließ sie im Korb. Mit einem mulmigen Gefühl zog sie die Tür hinter sich zu und sperrte von innen wieder ab. Schwer beladen stieg sie die ausgetretenen Stufen hinunter. Bei jedem Schritt beschleunigte sich ihr Puls.
Feuchte, muffige Luft schlug ihr entgegen. Das schwache Licht aus gerade mal einer einzigen Laterne warf unheimliche Schatten an die Wand. Unten angekommen erstreckte sich ein schmaler Gang vor ihr, der links und rechts von jeweils drei Zellen flankiert wurde. Jede dieser Kammern war mit einer massiven Tür verschlossen, aber nur an einer hing ein Schloss. Mit zitternden Fingern probierte sie die Schlüssel an ihrem Bund durch, bis der Passende gefunden war. Sie atmete noch einmal tief ein, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und trat in die Zelle. Hier war es noch dunkler als im Gang und ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Links von
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