Mitternachtsfalken: Roman
seiner Heimatinsel Sande, dem »Himmelbett«-Hinweis und der Verwicklung Poul Kirkes in die Affäre.
Während ihres Berichts veränderte sich Arnes Miene. Die Freude schwand aus seinem Blick, und sein Dauerlächeln wich dem Ausdruck wachsender Besorgnis. Hermia war sich nicht mehr sicher, ob er den Auftrag akzeptieren wurde.
Doch wenn er ein Feigling wäre, hätte er sich bestimmt nicht den Beruf des Piloten in einer dieser dünnen Holz-und-Leinwand-Maschinen der dänischen Luftstreitkräfte ausgesucht. Auf der anderen Seite gehörte der Pilotenberuf einfach zu seinem forschen Erscheinungsbild, und wenn er sich zwischen Vergnügen und Arbeit zu entscheiden hatte, wählte er oft Ersteres. Es war dies einer der Gründe dafür, dass sie ihn so liebte: Sie selbst war zu ernst – er sorgte dafür, dass sie die schönen Seiten des Lebens genießen konnte. Was war nun der wahre Arne – der Hedonist oder der Flieger? Bisher war ihm diese Entscheidung erspart geblieben.
»Ich bin gekommen, um dich zu bitten, das zu tun, was Poul jetzt tun würde, wäre er noch am Leben: Fahr nach Sande, geh auf den Stützpunkt und sieh dir diese Radaranlagen näher an.«
Arne nickte. Er wirkte sehr ernst.
»Wir brauchen Fotos – und zwar sehr gute.« Sie beugte sich über ihr Fahrrad, öffnete die Satteltasche und entnahm ihr eine kleine 35-mm-Kamera, ein deutsches Fabrikat der Marke Leica lila. Sie hatte zunächst an eine Minox Riga gedacht, die noch kleiner und leichter zu verstecken war, sich am Ende aber für die Präzision der Leica-Linse entschieden. »Es ist wahrscheinlich der wichtigste Auftrag deines Lebens«, fuhr Hermia fort. »Wenn wir das deutsche Radarsystem begreifen, dann werden wir auch Mittel und Wege finden, es auszutricksen – und damit Tausenden von Air-Force-Männern das Leben retten.«
»Ja, das ist mir klar.«
»Aber wenn man dich erwischt, wirst du wegen Spionage hingerichtet – entweder erschossen oder gehenkt.« Sie hielt ihm die Kamera entgegen.
Sie wünschte beinahe, Arne würde den Auftrag ablehnen, konnte sie doch kaum den Gedanken an die Gefahr ertragen, in die er sich begab, wenn er ja sagte. Doch angenommen, er weigerte sich tatsächlich – würde sie dann nicht ihre Achtung vor ihm verlieren?
Er nahm die Kamera nicht. »Poul war der Anführer deiner Mitternachtsfalken?«
Sie nickte.
»Ich nehme an, dass die meisten unserer Freunde dazugehörten?«
»Es ist besser, wenn du das nicht weißt.«
»Also praktisch alle außer mir?«
Hermia nickte. Sie fürchtete, was nun unweigerlich kommen musste.
»Du hältst mich für einen Feigling.«
»Ich dachte, das wäre nicht so ganz deine Linie.«
»Weil ich gerne auf Partys gehe, ein Witzbold bin, gerne mit den Mädchen flirte. Deshalb hast du geglaubt, dass mir für verdeckte Einsätze der Mumm fehlt!« Hermia schwieg, doch Arne ließ nicht locker. »Antworte mir!«
Hermia nickte kläglich.
»In diesem Fall muss ich dir beweisen, dass du dich geirrt hast.« Er nahm ihr die Kamera ab.
Hermia wusste nicht, ob sie darüber glücklich oder traurig sein sollte. »Danke«, sagte sie und kämpfte mit den Tränen. »Und pass auf dich auf, bitte!«
»Ja. Aber es gibt bereits ein Problem. Man hat mich verfolgt.«
»Au, verdammt.« Damit hatte sie nicht gerechnet. »Bist du dir sicher?«
»Ja. Mir war schon auf dem Stützpunkt so ein komisches Pärchen aufgefallen, das da eigentlich nichts zu suchen hatte. Die Frau saß dann im gleichen Zug mit mir, als ich nach Kopenhagen fuhr, und der Mann war mit auf der Fähre und ist mir hier auf Bornholm dann nachgeradelt. Hinter ihm kam dann auch noch ein Auto. Ich habe sie alle ein paar Kilometer hinter Rönne abgeschüttelt.«
»Sie halten dich möglicherweise für einen Mitarbeiter von Poul.«
»Ein glatter Witz, weil ich das doch gar nicht war.«
»Was waren das für Leute, die dich verfolgt haben?«
»Dänische Polizisten, die auf Befehl der Deutschen handeln.«
»Nachdem du ihnen entkommen bist, halten sie dich mit Sicherheit für schuldig und suchen dich immer noch.«
»Sie können nicht jedes Haus auf Bornholm durchsuchen.«
»Nein, aber sie werden den Fährhafen und den Flugplatz überwachen lassen.«
»Daran habe ich nicht gedacht. Wie soll ich unter diesen Umständen wieder nach Kopenhagen zurückkommen?«
Wie ein Spion denkt er immer noch nicht, dachte Hermia. »Wir müssen dich irgendwie auf die Fähre schmuggeln.«
»Und wo soll ich dann hin? Zur Flugschule kann ich nicht zurück – da
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