Mitternachtsfalken: Roman
imaginären Wiedersehensszenen, die immer wieder in ihren Träumen vorkamen. Sie rieb ihre Nase an seinem Hals und atmete seinen Geruch ein: Kernseife, Brillantine und Flugzeugsprit. In ihren Träumen gab es keine Gerüche.
Ihre Gefühle überwältigten sie. Doch aus Aufregung und schierem Glück wurde allmählich etwas anderes: Ihre zärtlichen Küsse wurden suchend und hungrig, ihre sanften Liebkosungen drängend und fordernd. Hermia wurden die Knie schwach, und sie sank ins Gras und zog Arne mit sich. Sie leckte seinen Hals, saugte an seinen Lippen, biss ihn ins Ohrläppchen und fühlte seine Erektion an ihrem Oberschenkel. Sie fingerte an den Knöpfen seiner Hose herum und öffnete den Bund, um ihn besser spüren zu können. Arne schob den Rock ihres Kleides hoch und ließ seine Hand unter das Gummiband ihres Höschens gleiten. Einen Moment lang fühlte Hermia nichts als scheue Verlegenheit, als sie merkte, wie feucht sie war – doch eine Woge der Lust spülte sie rasch hinweg. Ungeduldig befreite sie sich aus der Umarmung, nur um sich schnell ihres Schlüpfers zu entledigen, dann zog sie Arne über sich. Einen flüchtigen Augenblick dachte sie noch daran, dass jeder Tourist, der in den Morgenstunden die Ruine besichtigen wollte, sie sehen musste, doch sie scherte sich nicht darum. Erst später, als der Liebesrausch verflogen war, sollte ihr zu Bewusstsein kommen, auf welches Risiko sie sich eingelassen hatte, und allein der Gedanke daran ließ sie vor Entsetzen schaudern – doch jetzt und hier gab es kein Zurück mehr. Sie stöhnte auf, als Arne in sie eindrang, und umklammerte seinen Körper mit Armen und Beinen. Sie presste seinen Bauch an den ihren, seinen Oberkörper an ihre Brüste, sein Gesicht an ihren Hals, unersättlich in ihrer Gier nach Berührungen. Doch auch diese Phase verstrich und wurde verdrängt von einem Knoten aus ungeheurer Lust, der klein und heiß begann, wie ein weit entfernter Stern, und dann stetig wuchs und von immer größeren Partien ihres Körpers Besitz ergriff, bis er endlich explodierte.
Eine Zeit lang rührte sich keiner von beiden. Hermia genoss Arnes Gewicht, das auf ihr lastete, das Gefühl der Atemlosigkeit, das es ihr vermittelte, sein langsames Abschwellen. Dann fiel ein Schatten über sie. Es war nur eine Wolke, die vorübergehend die Sonne verdeckte, doch sie erinnerte sie daran, dass diese Ruinen eine öffentlich zugängliche Sehenswürdigkeit waren und dass hier jederzeit andere Menschen auftauchen konnten. »Sind wir noch allein?«, murmelte sie.
Arne hob den Kopf und sah sich um. »Ja.«
»Dann stehen wir besser auf, bevor die Touristen kommen.«
»Gut.«
Sie hielt ihn fest, als er sich ihr entziehen wollte. »Einen Kuss noch.«
Er küsste sie sanft und stand auf.
Hermia fand ihren Schlüpfer und streifte ihn rasch über. Dann stand auch sie auf und strich sich die Grasreste von ihrem Kleid. Nun, da sie wieder gesellschaftsfähig war, wich die drängende Eile einer angenehmen Mattigkeit, so, wie sie es von manchen Sonntagvormittagen kannte, an denen sie im Bett liegen blieb und döste, während draußen die Kirchenglocken läuteten.
Sie lehnte sich an die Mauer und sah hinaus aufs Meer. Arne legte seinen Arm um sie. Es war schrecklich, sich jetzt wieder auf Krieg, Täuschungen und Geheimhaltung konzentrieren zu müssen.
»Ich arbeite für den britischen Geheimdienst«, sagte sie abrupt.
Arne nickte. »Das habe ich befürchtet.«
»Befürchtet? Wieso?«
»Es bedeutet, dass du in noch viel größerer Gefahr schwebst, als wenn du bloß gekommen wärst, um dich hier mit mir zu treffen.«
Es freute sie, dass sein erster Gedanke ihrer Gefährdung galt. Er liebte sie wirklich – aber sie brachte Schwierigkeiten und Sorgen mit. »Aber du gehst auch ein Risiko ein, nur, weil du dich mit mir triffst.«
»Das musst du mir genauer erklären.«
Sie setzte sich auf die Mauer und sammelte ihre Gedanken. Sie hatte nicht daran gedacht, sich eine zensierte Version der Geschichte zurechtzulegen, die nur das enthielt, was Arne unbedingt wissen musste. Egal, auf welche Weise sie sie zerstückelte – die halbe Wahrheit ergab keinen Sinn. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm alles zu erzählen. Sie war drauf und dran, ihn zu bitten, sein Leben aufs Spiel zu setzen – und er musste erfahren, warum.
Also erzählte sie ihm von den Mitternachtsfalken, den Verhaftungen auf dem Flughafen Kastrup, den verheerenden Verlusten der Bomberflotte, von den Radaranlagen auf
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