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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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benötigt. Dadurch würden die Invasionstruppen geschwächt und die Chancen der Russen steigen.«
    »Und werden Sie seiner Bitte Folge leisten?«
    »Ich habe keine andere Wahl. Ich habe daher für den nächsten Vollmond einen Bombenangriff angeordnet, der die bisher größte Luftoperation dieses Krieges – und damit die größte in der Geschichte der Menschheit – sein wird. Über fünfhundert Maschinen werden an diesem Angriff teilnehmen – weit mehr als die Hälfte unserer gesamten Bomberflotte.«
    Hoare fragte sich, ob auch sein Bruder bei diesem Angriff zum Einsatz kommen würde. »Aber was geschieht, wenn die Zahl der Verluste so groß sein wird wie bei früheren Gelegenheiten?«
    »Dann sind wir erledigt. Und deswegen habe ich Sie rufen lassen. Haben Sie schon eine Antwort für mich?«
    »Gestern habe ich eine Spionin nach Dänemark geschleust. Sie hat den Auftrag, die Radaranlagen auf Sande zu fotografieren. Dann werden wir die Frage beantworten können.«
    »Hoffentlich. Der Bombenangriff wird in sechzehn Tagen stattfinden. Wann können wir damit rechnen, die Fotos in der Hand zu haben?«
    »Innerhalb einer Woche.«
    »Gut«, sagte Churchill in einem Ton, der bedeutete, dass das Gespräch beendet war.
    »Ich danke Ihnen, Herr Premierminister.« Hoare wandte sich zum Gehen.
    »Lassen Sie mich nicht im Stich«, sagte Churchill.
    Hammershus lag an der Nordspitze von Bornholm. Die Festung stand auf einem Hügel, von dem aus man nach Schweden hinübersehen konnte, und hatte die Insel einst vor Invasionen durch den Nachbarn geschützt. Hermia schob ihr Fahrrad den Fußpfad hoch, der den felsigen Hang hinaufführte, und fragte sich, ob ihre Mühe wieder – wie gestern – umsonst sein würde. Die Sonne schien, und Hermia schwitzte vom Radfahren.
    Die Festung war aus einer Mischung aus einfachen Steinen und Ziegeln errichtet worden. Einzelne Mauern standen noch, und ihre Formen erinnerten vage an familiäres Leben in längst vergangenen Zeiten: große, verrußte Feuerstellen, die nun unter freiem Himmel lagen, kühle Steinkeller, in denen Äpfel und Bier aufbewahrt worden waren, geborstene Treppenhäuser, die im Nirgendwo endeten, schmale Fenster, durch die nachdenkliche Kinder einst aufs Meer hinausgeschaut haben mussten.
    Als Hermia die Ruine erreichte, war es noch früh am Tage, und weit und breit war kein Mensch zu sehen. Nach ihrer Erfahrung vom Vortag würde sich das Gelände frühestens in einer Stunde allmählich bevölkern. Sie schob das Fahrrad durch verfallene Bogengänge und über grasbewachsene Steinböden und stellte sich vor, wie es wäre, wenn Arne heute auftauchte.
    Vor der deutschen Okkupation waren sie und Arne in Kopenhagen ein Paar gewesen, nach dem man sich umdrehte – der Mittelpunkt eines gesellschaftlichen Kreises aus jungen Offizieren und hübschen Mädchen mit besten Verbindungen zu Regierungskreisen.
    Ständig gab es Partys oder Picknicks, man ging tanzen, trieb gemeinsam Sport, man segelte und ritt aus und fuhr hinaus an die Strände. Hermia fragte sich, nachdem diese glücklichen Zeiten inzwischen vorüber waren, ob Arne in ihr nicht vielleicht einen Teil seiner Vergangenheit sah. Am Telefon hatte er zwar gesagt, dass er sie nach wie vor liebe – aber er hatte sie seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Wird er meinen, dass ich mich verändert habe, dachte sie. Wird er den Geruch meines Haares und den Geschmack meines Mundes noch mögen? Sie wurde allmählich nervös.
    Den gestrigen Tag hatte sie damit verbracht, sich die Ruine anzusehen; heute interessierte sie das alte Gemäuer nicht mehr. Sie ging auf die dem Meer zugewandte Seite, lehnte ihr Fahrrad an eine niedrige Steinmauer und sah hinab auf den weit unter ihr liegenden Strand.
    »Hallo, Hermia!«, sagte eine vertraute Stimme hinter ihr.
    Sie wirbelte herum und sah Arne. Er hatte hinter einem der Türme auf sie gewartet und kam nun lächelnd und mit weit geöffneten Armen auf sie zu. Hermias Nervosität verflog im Nu. Sie stürzte in seine Arme und drückte ihn so fest an sich, dass es wehtat.
    »Was ist denn los?«, fragte er. »Warum weinst du?«
    Erst jetzt merkte sie, dass ihr Tränen über das Gesicht liefen und ihre Brust vor Schluchzen bebte. »Ich bin so glücklich«, sagte sie.
    Er küsste ihre feuchten Wangen. Sie hielt sein Gesicht in beiden Händen und spürte die Linie seiner Wangenknochen nach, als wolle sie sich vergewissern, dass es wirklich Arne war, in Fleisch und Blut, und nicht nur eine jener vielen

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