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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eintreffen.
    Voriges Mal hatte sie still dagesessen und abgewartet, bis Arne am nächsten Vormittag aufgetaucht war. Diesmal war sie zu ungeduldig dazu. Als sie sicher zu sein glaubte, dass er nicht auf der Nachtfähre gewesen sein konnte, beschloss sie, nach Rönne zu radeln.
    Ihre Nervosität wuchs, als sie die einsamen Landstraßen hinter sich ließ und in das belebtere Städtchen kam. Zwar sagte ihr der Verstand, dass sie hier sicherer wäre – auf dem flachen Land fiel sie mehr auf, während sie in der Stadt nur ein Mensch unter vielen war -, doch gefühlsmäßig reagierte sie genau entgegengesetzt. In jedermanns Augen glaubte sie misstrauische Blicke wahrzunehmen, nicht nur bei Polizisten und Soldaten, sondern auch bei den Ladenbesitzern, die in den Türen ihrer Geschäfte standen; bei den Fuhrleuten, die ihre Pferde am Halfter durch die Straßen führten; bei den alten Männern, die rauchend auf Bänken saßen, und sogar bei den Hafenarbeitern, die auf dem Kai ihren Tee tranken. Eine Zeit lang spazierte sie durch die Stadt und mied geflissentlich jeden Blickkontakt, dann aß sie in einem Hotel am Hafen ein Smörrebröd. Als die Fähre anlegte, gesellte sie sich zu einer kleinen Gruppe von Menschen, die andere Passagiere abholten. Hermia sah sich die Gesichter der an Land Gehenden genau an, weil sie damit rechnen musste, dass Arne sein Äußeres verändert hatte.
    Es dauerte einige Minuten, bis sich die Fähre geleert hatte.
    Als dann aber neue Passagiere einstiegen, um nach Kopenhagen zurückzufahren, sah Hermia ein, dass Arne nicht an Bord gewesen war.
    Sie zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie sich nun verhalten sollte. Für Arnes Nichterscheinen mochte es hundert verschiedene Erklärungen geben, von absolut trivialen bis hin zu wirklich tragischen. Hat er schlicht die Nerven verloren und aufgegeben, fragte sie sich, nur um sich sogleich dieses hässlichen Verdachts zu schämen. Dass Arne zum Helden geboren war, hatte sie freilich schon immer bezweifelt. Er konnte natürlich auch längst tot sein. Wahrscheinlicher war jedoch, dass ihn irgendeine banale Ursache wie ein verspäteter Zug aufgehalten hatte. Und leider verfügte er über keine Möglichkeit, sie darüber zu informieren.
    Aber ich selber, dachte sie, kann vielleicht Kontakt zu ihm aufnehmen.
    Als Unterschlupf in Kopenhagen hatte sie ihm das Haus von Jens Toksvig empfohlen. Jens halte Telefon, und Hermia kannte die Nummer.
    Sie zögerte. Wenn die Polizei Jens‘ Telefon abhörte, aus welchem Grund auch immer, dann konnte sie den Anruf auch zurückverfolgen, und dann wusste sie. was? Dass auf Bornholm irgendwas im Gange sein könnte. Das wäre zwar schlecht, aber noch keine Katastrophe. Die Alternative hieß, dass sie sich eine Übernachtungsmöglichkeit suchen und abwarten musste, ob Arne mit der nächsten Fähre kam. Dafür fehlte ihr jedoch die Geduld.
    Sie kehrte in das Hotel zurück und meldete das Gespräch an.
    Als das Fräulein vom Amt sie vermittelte, bereute Hermia, dass sie sich nicht vorher genauer überlegt hatte, was sie sagen wollte. Sollte sie direkt nach Arne fragen? Unerwünschten Mithörern verriet sie damit seinen Aufenthaltsort. Nein, sie würde sich wieder in Rätseln ausdrücken müssen, so wie kürzlich bei ihrem Anruf aus Stockholm. Jens würde wahrscheinlich selbst an den Apparat gehen. Hoffentlich erkennt er meine Stimme, dachte sie. Wenn nicht, dann sage ich einfach: Hier ist deine Freundin aus der Bredgade, erinnerst du dich noch? In der englischen Botschaft an der Bredgade hatte Hermia vor der deutschen Invasion gearbeitet. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl sollte Jens eigentlich verstehen – obwohl unter Umständen auch ein gewiefter Geheimdienstler oder Polizist daraus seine Schlüsse ziehen konnte.
    Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als am anderen Ende der Hörer abgenommen wurde und eine Männerstimme sagte: »Hallo?«
    Arne war das garantiert nicht. Möglicherweise war es Jens, doch dessen Stimme hatte Hermia seit über einem Jahr nicht mehr gehört.
    »Hallo«, antwortete sie.
    »Wer spricht?« Die Stimme klang wie die eines älteren Mannes – Jens war neunundzwanzig!
    Hermia sagte: »Ich hätte gern Jens Toksvig gesprochen.«
    »Wer ist am Apparat?«
    Zum Teufel, wer ist das, dachte Hermia. Jens lebt doch allein. Ob vielleicht sein Vater zu Besuch ist? Ihren richtigen Namen durfte sie auf keinen Fall verraten. »Hier ist Hilde«, sagte sie.
    »Hilde wer?«
    »Das weiß er dann schon.«
    »Bitte nennen Sie mir

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