Mitternachtsfalken: Roman
um so was geht.«
»Ich weiß, aber ich hab mir das nicht richtig klar gemacht.«
»Tut mir Leid.«
Tik rollte den Film zusammen und steckte ihn in seine Dose zurück. »Hier, nimm ihn«, sagte er. »Ich leg mich jetzt wieder ins Bett und vergesse, was hier geschehen ist.«
Harald schob die Filmdose in die Hosentasche.
Da hörten sie Stimmen.
Tik stöhnte auf.
Harald stand wie festgewurzelt und lauschte. Zunächst konnte er nichts verstehen, doch er war sicher, dass die Stimmen von innerhalb des Gebäudes und nicht von draußen kamen. Dann hörte er die unverkennbare Stimme von Heis: »Hier scheint niemand zu sein.«
Die nächste Stimme war die eines Jugendlichen: »Sie sind aber definitiv hier langgegangen, Herr Direktor.«
Harald runzelte die Stirn und sah seinen Freund an: »Wer.?«
»Das klingt nach Woldemar Borr«, flüsterte Tik.
»Das hätte ich mir denken können!« Harald stöhnte. Borr war der Schul-Nazi. Er musste die Gestalt gewesen sein, die ihn und Tik vom Fenster aus beobachtet hatte. So ein Pech! Von den anderen Jungen hätte sie keiner verpfiffen.
Eine dritte Stimme war zu hören. »Sehen Sie, da! Ein eingeschlagenes Fenster!« Das war Herr Möller. »Dort müssen sie reingekommen sein – wer immer sie sind.«
»Einer von ihnen war Harald Olufsen, das habe ich genau gesehen«, sagte Borr. Er klang sehr selbstzufrieden.
Harald flüsterte Tik zu: »Wir müssen aus der Dunkelkammer raus, dann merken sie vielleicht nicht, dass wir einen Film entwickelt haben.« Er schaltete das Licht aus, drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür.
Der Flur war hell erleuchtet, und direkt vor der Tür stand Heis.
»Ach, verdammt!«, entfuhr es Harald.
Heis trug ein Hemd ohne Kragen: Offenbar hatte er gerade zu Bett gehen wollen. Über seine lange Nase hinweg fiel sein Bück auf Harald. »Tatsachlich Sie, Olufsen!«
»Jawohl, Herr Direktor.«
Hinter Heis tauchten Borr und Möller auf.
»Sie sind, wie Sie wissen, kein Schüler dieser Schule mehr«, fuhr Heis fort. »Es ist demnach meine Pflicht, die Polizei zu benachrichtigen und Sie wegen Einbruchs festnehmen zu lassen.«
Harald drohte ein Panikanfall zu überwältigen. Wenn die Polizei den Film in seiner Tasche fand, war er erledigt.
»Und Duchwitz ist auch dabei – das hätte ich mir denken können«, sagte Heis. »Aber was in aller Welt treiben Sie hier?«
Harald musste Heis unbedingt dazu bringen, die Polizei aus dem Spiel zu lassen – aber das war in Gegenwart von Borr unmöglich. »Herr Direktor«, sagte er, »könnte ich Sie bitte unter vier Augen sprechen?«
Heis zögerte.
Harald entschied in diesem Moment, dass er sich nicht kampflos in sein Schicksal fügen würde. Wenn Heis die Polizei ruft, lass ich‘s drauf ankommen und fliehe. Die Frage ist bloß, wie weit ich komme. »Bitte, Herr Direktor«, sagte er. »Geben Sie mir eine Chance, alles zu erklären.«
»Nun gut«, erwiderte Heis widerstrebend. »Borr, gehen Sie wieder ins Bett. Sie auch, Duchwitz. Herr Möller, ich denke, es wäre gut, wenn Sie die beiden jungen Herren zu ihren Zimmern begleiten könnten.«
Die drei entfernten sich.
Heis betrat den Chemiesaal, setzte sich auf einen Stuhl und zog seine Pfeife aus der Tasche. »Na schön, Olufsen«, sagte er. »Was ist es dieses Mal?«
Was soll ich ihm erzählen, fragte sich Harald. Eine glaubhafte Lüge fiel ihm nicht ein – doch die Wahrheit würde vermutlich noch unwahrscheinlicher klingen als alles, was er sich ausdenken konnte.
Er zog die Filmdose aus der Tasche und reichte sie Heis.
Der Direktor nahm den Film heraus und hielt ihn aufgerollt gegen das Licht. »Sieht aus wie eine neumodische Sendeanlage«, sagte er. »Ist das was Militärisches?«
»Ja, Herr Direktor.«
»Wissen Sie, welchem Zweck es dient?«
»Die Anlage spürt mithilfe von Radioimpulsen Flugzeuge auf, glaube ich.«
»Aha, so machen sie‘s also. Die deutsche Luftwaffe behauptet ja, sie hole die RAF-Bomber vom Himmel wie bei der Entenjagd. Das ist also die Erklärung dafür.«
»Ich glaube, mit diesen Geräten werden sowohl der Bomber als auch der Abfangjäger, der auf ihn angesetzt ist, verfolgt – mit dem Ergebnis, dass der Jäger über Funk genau geleitet werden kann.«
Heis sah Harald über den Rand seiner Brille hinweg an. »Meine Güte, wissen Sie eigentlich, wie wichtig das ist?«
»Ich glaube schon.«
»England hat nur eine Möglichkeit, den Russen beizustehen: Es muss Hitler zwingen, zur Verteidigung Deutschlands gegen die
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