Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Bombenangriffe Flugzeuge von der russischen Front abzuziehen.«
    Als ehemaligem Soldaten fiel es Heis nicht schwer, in militärischen Kategorien zu denken. »Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit zum Ausdruck bringen wollen«, sagte Harald.
    »Nun, diese Strategie kann nur dann funktionieren, wenn es den Deutschen nicht mehr so leicht fällt, die Bomber abzuschießen. Sobald die Briten die deutsche Technik kennen, können sie Gegenmaßnahmen ergreifen.« Er sah sich um. »Hier muss doch irgendwo ein Kalender rumliegen.«
    Harald hatte keine Ahnung, wozu Heis jetzt einen Kalender brauchte, wusste aber, wo sich einer befand. »Im Physiksaal ist einer.«
    »Holen Sie ihn.« Heis legte die Filmrolle auf der Laborbank ab und zündete seine Pfeife an, während Harald im Raum nebenan den Kalender vom Bücherbord nahm. Er brachte ihn dem Direktor, der eine Weile darin herumblätterte und schließlich sagte: »Der nächste Vollmond ist am 8. Juli. Ich gehe jede Wette ein, dass England für diese
    Nacht einen großen Bombenangriff vorbereitet. Das ist in zwölf Tagen. Können Sie den Film bis dahin nach England bringen?«
    »Das macht jemand anders.«
    »Dann wünsche ich diesem Jemand viel Glück. Olufsen, wissen Sie, in welche Gefahr Sie sich begeben haben?«
    »Ja.«
    »Auf Spionage steht die Todesstrafe.«
    »Ich weiß.«
    »Mumm hatten Sie schon immer, das muss ich sagen.« Heis gab ihm den Film zurück. »Brauchen Sie irgendwas? Essen, Geld, Benzin?«
    »Nein, vielen Dank.«
    Heis stand auf. »Ich begleite Sie hinaus.«
    Sie verließen das Gebäude durch den Haupteingang. Die Nachtluft kühlte die Schweißtropfen auf Haralds Stirn. Seite an Seite gingen sie zum Tor. »Ich weiß nicht, was ich Möller sagen soll«, meinte Heis.
    »Darf ich einen Vorschlag machen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Sie könnten behaupten, ich hätte schmutzige Fotos entwickelt.«
    »Ja, das ist eine Idee! Das nehmen mir alle ab.«
    Am Tor gab Heis Harald die Hand. »Seien Sie um Gottes willen vorsichtig, mein Junge«, sagte der Direktor.
    »Bin ich.«
    »Viel Glück.«
    »Auf Wiedersehen. Danke.«
    Harald schlug den Weg zum Dorf ein.
    Als er zur ersten Kurve in der Straße kam, drehte er sich noch einmal um. Heis stand noch immer im Tor und sah ihm nach. Harald winkte, und Heis winkte zurück.
    Er kroch unter einen Busch und schlief bis zum Sonnenaufgang; dann ging er zu seinem Motorrad und fuhr nach Kopenhagen.
    Er war in Hochstimmung, als er in der Morgensonne durch die Außenbezirke der Hauptstadt rollte. Ein paar Mal hatte es äußerst kritisch ausgesehen, doch am Ende hatte er sein Versprechen eingehalten. Er freute sich schon darauf, seinem Bruder den Film zu geben. Arne würde Augen machen! Danach, dachte Harald, ist mein Auftrag erfüllt; Arne muss dafür sorgen, dass die Bilder nach England kommen.
    Er selber wollte nach getaner Arbeit wieder nach Kirstenslot fahren und Bauer Nielsen bitten, ihn wieder einzustellen. Harald hatte nur einen einzigen Tag gearbeitet, bevor er für den Rest der Woche verschwunden war. Logisch, dass Nielsen über sein Verhalten verärgert sein würde – aber vielleicht brauchte er seine Dienste doch so dringend, dass er noch einmal ein Auge zudrückte.
    In Kirstenslot würde er auch Karen wieder sehen. Darauf freute Harald sich ganz besonders. Zwar hegte sie keinerlei romantische Gefühle für ihn und würde auch nie welche entwickeln – aber immerhin schien sie ihn zu mögen. Was ihn betraf, so war er schon glücklich, wenn er sich mit ihr unterhalten konnte. Die Vorstellung, sie küssen zu dürfen, schien so weit hergeholt, dass selbst Wunschdenken fehl am Platze gewesen wäre.
    Harald fuhr direkt nach Nyboder. Arne hatte ihm die Adresse von Jan Toksvig gegeben. Die St.-Pauls-Gade war eine schmale Straße mit kleinen Reihenhäuschen. Vorgärten gab es keine: Die Haustüren gingen direkt auf den Gehsteig hinaus. Harald stellte sein Motorrad vor Nummer 53 ab und klopfte an die Tür.
    Ein Polizist in Uniform öffnete.
    Im ersten Augenblick verschlug es Harald vor Verblüffung die Sprache. Wo war Arne? Er musste verhaftet worden sein.
    »Was gibt‘s, junger Mann?«, fragte der Polizist ungeduldig. Er war mittleren Alters, hatte einen grauen Schnurrbart, und seine Uniform trug die Streifen eines Polizeimeisters.
    Ein Geistesblitz kam Harald zu Hilfe. Er ließ der panischen Angst, die er empfand, freien Lauf – und manipulierte sie in seinem Sinn: »Wo ist der Doktor?«, rief er. »Er muss sofort kommen,

Weitere Kostenlose Bücher