Mitternachtsfalken: Roman
bevor wir verheiratet sind.«
Sie lachte. »Was würde deine Mama dazu sagen?«
Er betrachtete ihre rundliche Figur. »Dass du erst noch ein bisschen aufgepäppelt werden musst.«
Betsy grinste. »Schmeichler. Du hast was auf dem Herzen, was? Wegen dem wässrigen Bier hier bist du jedenfalls nicht gekommen.«
»Ja, ich muss ein Wörtchen mit deinem Luther reden.«
»Mit Lou?« Ihre Miene verzog sich missbilligend. »Was willst du denn von dem?«
»Er kann mir vielleicht bei einem kleinen Problem helfen.«
»Was für‘n Problem?«
»Darüber sollte ich wahrscheinlich mit dir nicht.«
»Sei kein Trottel. Sitzt du in der Tinte?«
»Eigentlich nicht.«
Die Tür ging auf, und Betsy sagte: »Ach, so ein Mist!«
Harald, der ihrem Blick folgte, sah Luther hereinkommen. An diesem Abend trug er ein unglaublich verdrecktes seidenes Sportjackett über einem Unterhemd. Er hatte einen Mann um die dreißig bei sich, der so betrunken war, dass er kaum noch stehen konnte, packte ihn am Arm und schob ihn auf Betsy zu. Der Mann glotzte sie gierig an.
Betsy fragte Luther: »Wie viel hast du ihm abgeknöpft?«
»Zehn.«
»Du verlogener Scheißkerl.«
Luther gab ihr einen Fünf-Kronen-Schein. »Hier ist deine Hälfte.«
Achselzuckend steckte sie das Geld in die Tasche und verschwand mit dem Betrunkenen nach oben.
Harald fragte: »Was möchtest du trinken, Lou?«
»Aquavit.« Seine Manieren waren nicht besser geworden. »Was willst du von mir? Raus mit der Sprache!«
»Du kennst dich doch hier im Hafenviertel gut aus, was? Hast viele Bekannte und so?«
»Schmier mir keinen Honig ums Maul, Freundchen«, unterbrach Luther. »Was willst du? ‚n kleinen Jungen mit‘nem hübschen Arsch? Billige Zigaretten? Stoff?«
Der Barkeeper füllte ein kleines Glas mit Aquavit, das Luther in einem Zug leerte. Harald zahlte, wartete, bis sich der Barmann wieder abgewandt hatte und sagte mit leiser Stimme: »Ich will nach Schweden.«
Luther zog die Brauen zusammen. »Warum?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Kann sein.«
»Ich hab‘ne Freundin in Stockholm. Wir wollen heiraten.« Harald improvisierte drauflos. »Ich kann in der Fabrik ihres Vaters arbeiten. Er stellt Lederwaren her, Brieftaschen, Handtaschen und.«
»Da wendest du dich am besten an unsere Behörden und beantragst eine Ausreiseerlaubnis.«
»Hab ich schon gemacht. Abgelehnt.«
»Warum?«
»Ohne Begründung.«
Luther schien nachzudenken. Nach einer Weile sagte er: »Na gut!«
»Du kannst mich auf ein Schiff schmuggeln?«
»Alles ist möglich. Wie viel Geld hast du?«
Harald musste daran denken, wie Betsy Luther misstraut hatte. »Keins«, sagte er. »Aber ich kann mir was besorgen. Du kannst mir also helfen?«
»Ich kenn einen, den ich fragen kann.«
»Prima! Heute Abend noch?«
»Gib mir zehn Kronen.«
»Wofür?«
»Damit ich loszieh und mit dem Mann quatsche. Hältst du mich fürs Sozialamt oder die Leihbibliothek oder was? Bei mir gibt‘s nichts umsonst.«
»Ich hab doch gesagt, dass ich kein Geld dabeihabe.«
Luther grinste so breit, dass seine fauligen Zähne zu sehen waren. »Den Schnaps hast du mit‘nem Zwanziger bezahlt, und beim Wechselgeld war‘n Zehner. Und den gibste mir jetzt.«
Harald hasste es, sich nötigen zu lassen, aber es blieb ihm anscheinend nichts anderes übrig. Er gab Luther den Geldschein.
»Warte hier auf mich«, sagte Luther und ging hinaus.
Harald nippte nur ab und zu an seinem Bier, um kein weiteres bestellen zu müssen. Was mag bloß aus Arne geworden sein, fragte er sich. Wahrscheinlich sitzt er im Politigaarden ein und wird dort verhört – vermutlich sogar von Peter Flemming, der für Spionage zuständig ist. Ob er reden wird? Nicht sofort, das steht fest – aber ob er die Kraft hat, durchzuhalten? Ich habe schon lange das Gefühl, dass es eine Seite an Arnes Charakter gibt, die ich überhaupt nicht kenne. Und wenn sie ihn foltern? Wie lange wird es dauern, bis er mich verrät?
Von der Hintertreppe drang Lärm, und Betsys letzter Kunde, der Betrunkene, fiel die Treppe herunter. Betsy kam hinter ihm her, las ihn auf und führte ihn zur Tür, ja sie half ihm sogar noch die Stufen hinauf, die zur Straße führten.
Als sie zurückkehrte, hatte sie einen weiteren Kunden im Schlepptau, diesmal einen gutbürgerlichen Herrn mittleren Alters in einem grauen Anzug, der abgetragen, aber ordentlich gebügelt war. Der Mann sah aus, als hätte er sein Leben lang bei einer Bank gearbeitet und sei niemals befördert worden.
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