Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
auch nur daran zu denken. Nun, da sich der Verdacht bestätigte, hatte sie das Gefühl, von einem Zug überrollt worden zu sein. »Nein«, sagte sie. »Das kann nicht sein.«
    »Er war in Polizeigewahrsam, als er starb.«
    »Was?« Sie musste sich zusammenreißen, um genau zuzuhören.
    »Er ist im Polizeipräsidium gestorben.«
    Ein schrecklicher Gedanke fuhr ihr durch den Kopf. »Haben sie ihn gefoltert?«
    »Das glaube ich nicht. Wie es aussieht, hat er sich selbst das Leben genommen, um unter der Folter keine Informationen preiszugeben.«
    »O mein Gott!«
    »Er hat sich selbst geopfert, um seine Freunde zu schützen, nehme ich an.«
    Hermia sah Renthe nur noch verschwommen und merkte, dass ihr die Tränen übers Gesicht strömten. Sie suchte nach einem Taschentuch, und Renthe gab ihr seines. Sie wischte sich das Gesicht ab, doch die Tränen wollten nicht aufhören zu fließen.
    Renthe sagte: »Ich habe es selbst eben erst erfahren. Ich muss Arnes Eltern anrufen und es ihnen mitteilen.«
    Hermia kannte die Eltern gut. Sie fand den Umgang mit dem eisernen Pastor nicht einfach: Er schien nur dann mit anderen Menschen kommunizieren zu können, wenn er sie dominierte – und Unterwürfigkeit war Hermias Sache nicht. Gewiss, er liebte seine Söhne, doch drückte sich diese Liebe in einer strengen Reglementierung aus. Was Arnes Mutter betraf, so erinnerte sich Hermia vor allem an eine Frau, deren Hände vom vielen Wäschewaschen, Gemüseputzen und Fußbödenschrubben zu oft im Wasser und daher ständig rissig waren.
    Der Gedanke an die beiden lenkte Hermia von ihrem eigenen Verlust ab, und eine Woge des Mitleids überkam sie. Der Tod ihres Sohnes würde den beiden furchtbar zusetzen. »Wie schrecklich für Sie, Herrn und Frau Olufsen diese Nachricht überbringen zu müssen«, sagte sie zu Renthe.
    »Da haben Sie Recht. Er ist ihr ältester Sohn.«
    Diese Bemerkung brachte Hermia den anderen Sohn in Erinnerung, Harald. Er war so blond, wie Arne dunkel war, und das war nicht der einzige Unterschied zwischen den Brüdern: Harald war viel ernsthafter, eher ein Intellektueller, und er besaß auch nicht Arnes lockeren Charme, war aber auf seine Weise durchaus ein netter Kerl. Arne hatte gesagt, er wolle mit Harald darüber sprechen, wie man am besten auf das Stützpunktgelände auf Sande eindringen konnte. Wie weit war Harald eingeweiht? Hatte er Arne geholfen?
    Ihre Gedanken beschäftigten sich schon wieder mit praktischen Fragen, doch innerlich fühlte sie sich wie ausgehöhlt.
    In ihrem gegenwärtigen Schockzustand würde sie weiterleben können, doch kam es ihr vor, als könne sie nie wieder ein vollständiger Mensch sein. »Was hat Ihnen die Polizei sonst noch gesagt?«, fragte sie Renthe.
    »Offiziell wurde nur mitgeteilt, dass Arne während einer Vernehmung gestorben sei und das ›nicht von einem Fremdverschulden ausgegangen werde‹. Das ist ein amtsinterner Euphemismus für Selbstmord. Aber ein Freund im Politigaarden hat mir erzählt, dass Arne sich das Leben genommen hat, weil er nicht der Gestapo überstellt werden wollte.«
    »Hat man bei ihm irgendetwas gefunden?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Fotografien zum Beispiel?«
    Renthe versteifte sich. »Mein Freund hat nichts davon erwähnt. Ich darf Sie im Übrigen daraufhinweisen, dass es für Sie und für mich sehr gefährlich ist, über solche Dinge auch nur zu reden. Ich habe Arne sehr gerne gehabt, Miss Mount, und um seinetwillen werde ich auch gerne alles für Sie tun, was in meiner Macht steht, aber bedenken Sie bitte, dass ich als Offizier dem König Treue geschworen und von ihm den Befehl erhalten habe, mit der Besatzungsmacht zu kooperieren. Wie immer es um meine persönliche Meinung bestellt sein mag – Spionage kann ich nicht gutheißen, und wenn mir der Verdacht käme, dass jemand in derartige Aktivitäten verwickelt sein könnte, so wäre es meine Pflicht, entsprechende Beobachtungen zu melden.«
    Hermia nickte. Das war eine unmissverständliche Warnung. »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Herr Kommandant.« Sie stand auf und wischte sich noch einmal übers Gesicht. Ihr fiel ein, dass das Taschentuch ihm gehörte. »Ich werde es waschen und Ihnen zuschicken«, sagte sie.
    »Unterstehen Sie sich!« Er kam um seinen Schreibtisch herum und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Es tut mir wirklich ganz furchtbar Leid, Miss Mount, und ich versichere Sie meines tiefsten Mitgefühls.«
    »Danke«, sagte Hermia und ging.
    Kaum hatte sie das Gebäude

Weitere Kostenlose Bücher