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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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hinterher.
    Hinter der Kastanie konnte er die weite Rasenfläche vor dem Schloss erkennen. Die Soldaten hatten dort vier große Zelte aufgestellt und ihre Fahrzeuge geparkt, Kübelwagen, Pferdetransporter und einen Tankwagen mit Benzin. Ein paar Männer schlenderten von einem Zelt zum anderen, doch es war Nachmittag, und die meisten Soldaten der Kompanie waren unterwegs, brachten Pferde zum Bahnhof oder holten sie dort ab, verhandelten mit den Bauern in der Umgebung über Heulieferungen oder behandelten kranke Pferde in Kopenhagen und anderswo.
    Harald hob die Strebe auf und ging rasch auf den Wald zu.
    Als er um die Kirche bog, sah er Hauptmann Kleiss.
    Der Hauptmann war ein großer, aggressiv wirkender Mann. Breitbeinig und mit verschränkten Armen stand er da und unterhielt sich mit einem Feldwebel. Beide drehten sich um und sahen Harald an.
    Harald wurde schlecht vor Angst. Sollte er schon so bald erwischt werden? Er blieb stehen und wäre am liebsten davongelaufen, erkannte aber gerade noch rechtzeitig, dass er sich dadurch erst recht verdächtig machen würde. Zögernd ging er weiter, wohl wissend, dass man ihm sein schlechtes Gewissen ansehen konnte. Mit der Strebe in der Hand hatte man ihn praktisch in flagranti erwischt, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich irgendwie herauszureden. Er versuchte, die Strebe so unauffällig zu tragen wie einen Tennisschläger oder ein Buch.
    Kleiss sprach ihn auf Deutsch an. »Wer sind Sie?«
    Harald schluckte und versuchte, die Ruhe zu bewahren. »Harald Olufsen.«
    »Und was haben Sie da?«
    »Das da?« Harald hörte sein eigenes Herz klopfen. Verzweifelt suchte er nach einer glaubhaften Ausrede. »Das ist, äh.« Er spürte,
    wie er errötete, und dann kam ihm die rettende Idee.
    »Das gehört zum Mähwerk einer Erntemaschine.« Im selben Moment fiel ihm ein, dass einem ungebildeten dänischen Bauernjungen die deutschen Fachausdrücke wohl kaum geläufig sein konnten, und er fragte sich besorgt, ob Kleiss scharfsinnig genug war, um auf den gleichen Gedanken zu kommen.
    Kleiss sagte: »Was stimmt denn nicht mit der Maschine?«
    »Sie. äh, sie ist über einen großen Stein gefahren, und dabei hat sich der Rahmen verbogen.«
    Kleiss nahm ihm die Strebe aus der Hand. Harald konnte nur hoffen, dass er nicht wusste, was er sich da besah. Der Mann war Pferdespezialist, sodass es schon mit dem Teufel zugehen musste, wenn er den Gegenstand als Teil eines Flugzeugfahrwerks erkennen sollte. Trotzdem hielt Harald den Atem an, während er auf die Entscheidung des Hauptmanns wartete. Endlich gab ihm Kleiss die Strebe zurück. »In Ordnung, Sie können gehen.«
    Harald verschwand im Wald.
    Kaum war er außer Sicht der beiden Männer, blieb er stehen und lehnte sich an einen Baum. Obwohl er die kritische Situation überstanden hatte, war ihm schlecht vor Aufregung. Mit Mühe gelang es ihm, den heftigen Brechreiz zu unterdrücken.
    Dann riss er sich zusammen. Das war sicher nicht der letzte heikle Augenblick, dachte er, ich werde mich einfach dran gewöhnen müssen.
    Er setzte seinen Weg fort. Es war schwülwarm bei bewölktem Himmel – eine bedrückende, wenn auch in Dänemark, wo das Meer nirgends fern war, sattsam bekannte sommerliche Wetterlage. Als er sich dem Bauernhof näherte, fragte sich Harald, wie böse ihm der alte Nielsen wohl sein mochte, weil er nach nur einem Arbeitstag ohne Entschuldigung verschwunden war.
    Nielsen stand, als Harald eintraf, mitten im Hof und starrte missmutig auf einen Traktor, unter dessen Motorhaube Dampf hervorquoll. Als er Harald bemerkte, hatte er für ihn nur einen finsteren Blick übrig. »Was willst du hier, du Ausreißer?«
    Das fing nicht gut an. »Tut mir Leid, dass ich verschwunden bin, ohne Ihnen Bescheid zu sagen«, antwortete Harald. »Ich wurde ganz plötzlich zu meinen Eltern nach Hause gerufen und hatte keine Zeit mehr, mich bei Ihnen abzumelden.«
    Nielsen fragte nicht, um was für einen Notfall es sich gehandelt hatte. »Ich kann‘s mir nicht leisten, unzuverlässige Leute zu bezahlen«, knurrte er.
    In Harald keimte Hoffnung auf. Wenn‘s dem alten Geizkragen bloß ums Geld geht, dann kann er das behalten, dachte er und sagte: »Ich komme nicht, weil ich Geld von Ihnen will.«
    Nielsen brummte nur, doch sein Blick wirkte nicht mehr ganz so feindselig. »Was willst du dann?«
    Harald zögerte. Jetzt wurde es schwierig, denn Nielsen sollte nicht zu viel von seinen Plänen erfahren. »Sie um einen Gefallen bitten«, sagte

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