Mitternachtsfalken: Roman
Kloster vorbei auf das Schloss zu. »Was haben die denn vor, zum Teufel?«, fragte Harald entgeistert.
»Sie dürfen hier auf keinen Fall rein!«, erwiderte Karen.
Sie sahen sich in der Kirche um. Der Haupteingang am Westende bestand aus zwei riesigen Portalflügeln aus massivem Holz. Auf diesem Weg musste die Hornet Moth mit ihren zurückgeschlagenen Flügeln hereingebracht worden sein, und dort hatte Harald auch sein Motorrad hereingefahren. Die Tore waren auf der Innenseite mit einem riesigen alten Schloss versehen, zu dem ein nicht minder beeindruckender Schlüssel gehörte. Außerdem gab es noch einen schweren Balken, der als Riegel diente.
Sonst gab es nur noch die kleine Tür, die vom Kreuzgang aus hereinführte; dies war der Eingang, den Harald normalerweise benutzte. Die Tür besaß ebenfalls ein Schloss, doch einen Schlüssel dazu hatte Harald noch nie gesehen. Und einen Riegel gab es nicht.
»Wir könnten die kleine Tür zunageln und dann wie Pinetop durchs Fenster rein- und rausgehen«, schlug Karen vor.
»Hammer und Nägel sind da – aber wir brauchen auch ein Brett dazu.«
In einem saalgroßen Raum voller altem Gerümpel hätte es ein Leichtes sein sollen, ein solides Holzbrett aufzutreiben, doch zu Haralds Enttäuschung fand sich partout nichts Passendes. Schließlich riss er eines der über der Werkbank angebrachten Regalbretter von der Wand, hielt es mit Karens Hilfe diagonal über den Türstock und nagelte es am Rahmen fest.
»Zwei starke Männer können die Tür ohne große Anstrengung aufbrechen«, sagte er. »Aber auf jeden Fall verhindern wir so, dass jemand hier einfach reinlatscht und zufällig über unser Geheimnis stolpert.«
»Reinschauen kann aber immer noch jeder«, sagte Karen. »Die müssen sich bloß was organisieren, wo sie draufsteigen können.«
»Decken wir den Propeller ab.« Harald schnappte sich die Segeltuchplane, die sie vom Rolls-Royce abgezogen hatten, und gemeinsam drapierten sie sie über die Nase der Hornet Moth. Die Plane reichte sogar noch zur Abdeckung des Cockpits.
Sie traten zurück und betrachteten ihr Werk. Karen sagte: »Es sieht immer noch aus wie ein Flugzeug mit zugedeckter Nase und eingeklappten Flügeln.«
»Aber nur für dich, weil du weißt, was drunter ist. Wer nur aus Neugier durch die Fenster schaut, sieht bloß einen Raum voller Gerumpel.«
»Es sei denn, es ist zufällig ein Pilot.«
»Das war doch nicht die deutsche Luftwaffe da draußen, oder?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Karen. »Am besten sehe ich mal nach.«
H ermia hatte in Dänemark mehr Jahre ihres Lebens verbracht als in England, doch mit einem Male war es ein fremdes Land für sie. Über den vertrauten Straßen von Kopenhagen lag eine unbestimmte Feindseligkeit, und sie hatte das Gefühl, sehr auffällig zu sein. Dort, wo sie einst als kleines Mädchen unschuldig und unbeschwert an der Hand ihres Vaters entlangspaziert war, bewegte sie sich jetzt schnell und hastig wie ein Sträfling auf der Flucht. Es waren nicht nur die Straßensperren, die deutschen Uniformen und die graugrünen Mercedes-Limousinen, die sie nervös machten, sondern auch die dänischen Polizeistreifen.
Sie war erschöpft, noch ganz steif von der nächtlichen Überfahrt und innerlich fix und fertig vor lauter Sorge um Arne. Hinzu kam, dass sie nur allzu genau wusste, wie schnell die Zeit bis zum Vollmond verrann. Dennoch zwang sie sich dazu, bei allem, was sie tat oder nicht tat, äußerste Vorsicht walten zu lassen.
Sie hatte natürlich noch viele Freunde in der Stadt, nahm aber aus Furcht, noch mehr Menschen zu gefährden, keinen Kontakt zu ihnen auf. Poul war tot, Jens vermutlich verhaftet, und was mit Arne geschehen war, wusste sie nicht. Ihr war, als laste ein Fluch auf ihr.
Jens Toksvigs Haus in der St.-Pauls-Gade war eines von mehreren Reihenhäusern, die alle gleich aussahen. Alle hatten sie nur ein Stockwerk und Haustüren, die direkt auf den Gehsteig hinausgingen. Nummer 53 wirkte unbewohnt. Außer dem Postboten ging niemand zur Tür, und es kam auch niemand heraus. Als Hermia am Tag zuvor von Bornholm aus angerufen hatte, war zumindest ein Polizist im Haus gewesen, doch inzwischen hatte man den Wachposten offenbar abgezogen.
Hermia beobachtete auch die Nachbarn. Das heruntergekommene Haus auf der einen Seite wurde von einem jungen Paar mit Kind bewohnt – Leute, die mehr als genug mit ihrem eigenen Leben zu tun hatten, als dass sie sich noch um ihre Nachbarn hätten kümmern können. Doch
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