Mitternachtsfalken: Roman
verschwunden sind? Mütter sind auch nicht auf den Kopf gefallen, weißt du.«
»Aber wo schläft er?«, fragte Herr Duchwitz.
»In der alten Kirche, nehme ich an«, erwiderte seine Frau. »Das würde auch erklären, warum Karen so viel Wert darauf gelegt hat, dass sie verschlossen bleibt.«
Harald hörte mit Entsetzen, wie leicht sein Geheimnis zu durchschauen gewesen war. Herr Duchwitz wirkte sehr verärgert, doch ehe er aus der Haut fahren konnte, ging die Tür auf, und der König kam herein.
Alle verstummten.
Karen versuchte aufzustehen, doch der König hielt sie zurück. »Mein liebes Mädchen, bleiben Sie doch bitte sitzen. Wie geht es Ihnen?«
»Es tut weh, Majestät.«
»Das kann ich mir denken. Aber es ist kein bleibender Schaden entstanden, wie ich höre?«
»Das sagt der Arzt, ja.«
»Sie haben göttlich getanzt, wissen Sie.«
»Vielen Dank, Majestät.«
Der König sah Harald fragend an. »Guten Abend, junger Mann.«
»Ich bin Harald Olufsen, Majestät, ein Schulfreund von Karens Bruder.«
»Welche Schule?«
»Jansborg.«
»Wird der Direktor immer noch Heis genannt?«
»Ja – und seine Frau Mia.«
»Nun, dann passen Sie mir gut auf unsere Karen auf.« Der König wandte sich an Karens Eltern. »Hallo, Duchwitz, schön, Sie mal wieder zu sehen. Ihre Tochter hat ein fabelhaftes Talent.«
»Danke, Majestät. Majestät erinnern sich noch an meine Frau Hanna?«
»Selbstverständlich.« Der König schüttelte ihr die Hand. »Das ist sicher ein großer Schrecken für eine Mutter, Frau Duchwitz, aber ich bin überzeugt, dass Karen bald wieder gesund und munter sein wird.«
»Bestimmt, Majestät. Junge Haut heilt schnell.«
»Wohl wahr! Nun, dann wollen wir mal nach dem armen Kerl sehen, der sie fallen gelassen hat.« Der König wandte sich zur Tür.
Erst jetzt bemerkte Harald einen jungen Mann, der den König begleitete. Das musste sein Assistent oder Leibwächter oder beides sein. »Hier entlang, Hoheit«, sagte der junge Mann und hielt die Tür auf.
Der König entfernte sich.
»Meine Güte!«, sagte Frau Duchwitz mit erregter Stimme. »Wie überaus charmant!«
»Ich denke, wir sollten Karen jetzt nach Hause bringen«, bemerkte ihr Gatte.
Ich muss unbedingt unter vier Augen mit ihr sprechen, dachte Harald. Fragt sich bloß, ob ich die Chance dazu bekomme.
»Mutter wird mir aus dem Kostüm heraushelfen müssen«, sagte Karen.
Herr Duchwitz ging zur Tür und Harald folgte ihm, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte.
Da sagte Karen: »Bevor ich mich umziehe, würde ich gern noch ein Wörtchen mit Harald reden. Es macht euch doch nichts aus, oder?«
Herr Duchwitz fand das nicht komisch, doch Karens Mutter sagte: »Na gut – aber nicht zu lange!« Die beiden gingen hinaus, und Frau Duchwitz schloss die die Tür.
»Geht‘s dir auch wirklich gut?«, fragte Harald.
»Ja – sobald du mich geküsst hast.«
Harald kniete sich neben den Stuhl und küsste Karen auf die Lippen. Dann konnte er nicht mehr widerstehen und küsste auch ihre bloßen Schultern und ihre Kehle. Seine Lippen glitten tiefer, und er küsste den Ansatz ihrer Brüste.
»Oh, mein Gott, hör auf! Das ist viel zu schön«, sagte sie.
Harald zog sich widerstrebend zurück. Er sah, dass sie wieder Farbe im Gesicht hatte und ganz atemlos geworden war. Was Küsse alles bewirken können, dachte er.
»Wir müssen miteinander reden«, sagte Karen.
»Ich weiß. Glaubst du, du bist imstande, die Hornet Moth zu fliegen?«
»Nein.«
Das hatte er befürchtet. »Ganz sicher nicht?«
»Es tut zu weh. Ich kann ja nicht mal eine lächerliche Tür aufmachen. Und auftreten kann ich auch nur schlecht – wie soll ich da das Höhenruder betätigen können?«
Harald vergrub das Gesicht in den Händen. »Dann ist alles aus.«
»Der Arzt hat gesagt, das ist in ein paar Tagen vorüber. Wir können fliegen, sobald die Schmerzen nachgelassen haben.«
»Da ist noch was, was ich dir erzählen muss. Heute Abend hat Hansen wieder herumgeschnüffelt.«
»Wegen dem würde ich mir keine Sorgen machen.«
»Diesmal kam er in Begleitung einer Kriminalbeamtin. Diese Frau Jespersen hat erheblich mehr Grips als er. Ich habe die beiden belauscht. Die Jespersen war in der Kirche und hat alles rausgefunden. Sie hat festgestellt, dass ich dort wohne und dass ich vorhabe, mit dem Flugzeug zu fliehen.«
»O nein! Was hat sie getan?«
»Sie ist wieder fort, um ihren Chef zu holen – ausgerechnet Peter Flemming! Sie hat Hansen als Wachposten
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