Mitternachtsfalken: Roman
auch, dass Woodie es nicht billigen wird, wenn ich in Dänemark nach einem solchen System suchen lasse.
Sie sehnte sich danach, einen direkten Beitrag zum Kriegsgeschehen leisten zu können. Die ewige Routinearbeit machte sie ungeduldig und frustriert. Sie wollte Ergebnisse, handfeste Ergebnisse, mit denen man etwas anfangen konnte und die vielleicht sogar das, was den beiden armen Flugwarten in Kastrup zugestoßen war, nachträglich rechtfertigen konnten.
Allerdings konnte sie die Erkundungen nach dem feindlichen Radarsystem auch ohne Woodies Erlaubnis vorantreiben. Möglich, dass er dahinter kam – aber dieses Risiko ging sie gerne ein. Das Problem lag nur darin, dass sie nicht wusste, wie sie den Auftrag an die Mitternachtsfalken formulieren sollte. Was genau sollten sie suchen – und wo? Ich brauche unbedingt noch weitere Informationen, dachte Hermia, bevor ich Poul Kirke Instruktionen geben kann. Und von Woodie kriege ich die garantiert nicht.
Aber es gab noch eine andere Hoffnung.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, nahm den Telefonhörer ab und sagte: »Bitte verbinden Sie mich mit Number Ten, Downing Street.«
Hermia traf sich mit Digby Hoare am Trafalgar Square in London. Als er, von Whitehall kommend, die Straße überquerte, stand sie bereits unter dem Denkmal für Admiral Nelson, beobachtete ihn und musste über seinen energischen Hinkeschritt lächeln, der ihr fast schon wie sein Markenzeichen vorkam. Sie begrüßten einander mit Handschlag und schlenderten in Richtung Soho.
Es war ein warmer Sommerabend, und im West End herrschte geschäftiges Treiben. Die Trottoirs waren voller Menschen, die auf dem Weg ins Theater oder Kino, in Bars oder Restaurants waren. Getrübt wurde die fröhliche Szenerie lediglich durch die Bombenschäden: Hie und da stach, wie ein fauler Zahn in einem lächelnden Gesicht, eine rußige schwärzte Ruine aus den Häuserreihen hervor.
Hermia hatte geglaubt, Hoare würde mit ihr in ein Pub gehen und dort etwas trinken, doch er führte sie in ein kleines französisches Restaurant. Die Tische links und rechts von ihnen waren leer, sodass sie sich ungestört unterhalten konnten.
Digby Hoare trug wieder den gleichen dunkelgrauen Anzug, diesmal jedoch zu einem hellblauen Hemd, das seine blauen Augen betonte. Hermia war froh, dass sie ihren Lieblingsschmuck angesteckt hatte, eine Brosche in Gestalt eines Panthers mit Smaragdaugen.
Ihr war sehr daran gelegen, schnell zur Sache zu kommen. Sie hatte eine private Abendeinladung Hoares abgelehnt und wollte nicht den Eindruck erwecken, sie hätte ihre Meinung geändert. Deshalb sagte sie, gleich nachdem der Ober die Bestellung aufgenommen hatte: »Ich möchte meine Agenten in Dänemark auf die möglichen Radaranlagen der Deutschen in ihrem Land ansetzen.«
Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »So einfach ist die Sache nicht«, sagte er. »Dass sie Radar haben – genauso wie wir -, steht inzwischen zweifelsfrei fest. Das Problem liegt darin, dass ihres besser ist als unseres, und zwar verdammt viel besser.«
»Ach so?« Hermia erschrak. »Woodie erzählte mir. aber das ist ja egal.«
»Wir versuchen verzweifelt herauszubekommen, warum ihr System so überlegen ist. Entweder haben sie etwas von Grund auf Besseres erfunden – oder sie wissen, wie man das Maximum aus den bestehenden Geräten herausholt.«
»Gut«, sagte sie und bemühte sich, ihre Gedanken rasch an die neuen Informationen anzupassen. »Wie dem auch sei – es spricht eine ganze Menge dafür, dass sich zumindest ein Teil dieser Anlagen in Dänemark befindet.«
»Ja, dort wäre der logische Standort – und der Codename ›Freya‹
deutet auch auf Skandinavien hin.«
»Wonach sollen meine Leute dann also Ausschau halten?«, wollte Hermia wissen.
»Das ist schwer zu sagen.« Digby Hoare runzelte die Stirn.
»Wir wissen ja gar nicht, wie die deutsche Anlage aussieht – und das meinen Sie doch, oder?«
»Also, vermutlich sendet sie elektromagnetische Wellen aus.«
»Ja, natürlich.«
»Und man kann annehmen, dass diese Wellen erhebliche Entfernungen überbrücken – andernfalls käme die Warnung ja nicht rechtzeitig genug.«
»Ja. Die Anlage wäre nutzlos, wenn die Radarimpulse nicht mindestens fünfzig Meilen weit reichten. Wahrscheinlich reichen sie sogar noch weiter.«
»Können wir sie vielleicht empfangen?«
Überrascht hob Hoare eine Braue. »Ja, mit einem Empfänger für sehr hohe Frequenzen vielleicht. Gute Idee übrigens – ich frage
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