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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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bereits die Nachricht von ihrem Tod erhalten. Sie hatte genug, sie wollte einfach nicht mehr.
    Was habe ich denn schon Konkretes geleistet, um unsere Soldaten voranzubringen, hatte sie gedacht. Ich sammle nur unentwegt Informationen, nach denen kein Hahn kräht. Da draußen sind Männer, die unter Lebensgefahr Fotos vom Kopenhagener Hafen machen, um sie mir zu schicken – und was kommt dabei heraus? Gar nichts. Das ist doch alles für die Katz...
    In Wirklichkeit wusste sie natürlich um die Bedeutung dieser mühseligen Routinearbeit. Irgendwann in der Zukunft würde ein Aufklärungsflieger den Hafen voller Schiffe fotografieren, und die Militärstrategen würden wissen wollen, ob seine Bilder den üblichen Verkehr im Hafen zeigten oder Beweise für den plötzlichen Aufbau einer Invasionsstreitmacht lieferten. In einem solchen Augenblick kam
    den Fotos, über die Hermia verfügte, entscheidende Bedeutung zu.
    Mehr noch: Der Besuch von Digby Hoare hatte ihrer Arbeit zusätzliche Dringlichkeit verliehen. Das neue Frühwarngerät der Deutschen konnte eine kriegsentscheidende Waffe sein. Je mehr Hermia darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien es ihr, dass der Schlüssel zu dem Problem in Dänemark liegen könnte. Die Westküste des Landes war der ideale Standort für eine Warnstation mit dem Ziel, Bombenflugzeuge auf dem Weg nach Deutschland aufzuspüren.
    Im gesamten MI6 gab es niemanden, der über so viel dänische Landeskenntnisse verfügte wie sie. Sie kannte Poul Kirke persönlich, und er vertraute ihr. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn plötzlich ein Fremder auf ihrem Stuhl säße – die Folgen konnten unter Umständen katastrophal sein. Nein, sie durfte jetzt nicht aufhören; sie musste auf ihrem Posten bleiben.
    Und das hieß, dass sie ihren Chef überlisten musste.
    »Das sind schlechte Nachrichten«, konstatierte Woodie knapp, als Hermia vor seinem Schreibtisch stand.
    Sein Büro in dem alten Haus in Bletchley Park war früher ein Schlafzimmer gewesen. Geblümte Tapeten und Wandleuchten mit Seidenschirmen deuteten darauf hin, dass vor dem Krieg eine Dame hier gewohnt hatte. Inzwischen waren die prall gefüllten Kleiderschränke durch Aktenschränke ersetzt worden, und wo sich einst eine Frisierkommode mit spindeligen Beinen und dreiteiligem Spiegel befunden haben mochte, stand jetzt ein stählerner Kartentisch. Und statt einer rassigen Frau im kostbaren Seiden-Negligé beherrschte jetzt ein kleiner, bebrillter Wichtigtuer im grauen Anzug das Zimmer.
    Hermia gab sich ruhig und abgeklärt. »Es besteht natürlich immer eine gewisse Gefahr, wenn ein Agent verhört wird«, sagte sie. »Allerdings.« Sie musste an die beiden tapferen Männer denken, die gerade von den Deutschen in die Mangel genommen wurden, und einen Moment lang versagte ihr die Stimme, doch gleich darauf fing sie sich wieder. »In diesem Fall glaube ich allerdings«, sagte sie, »dass das Risiko vergleichsweise gering ist.«
    Woodie räusperte sich skeptisch. »Wir werden wohl eine Untersuchung einleiten müssen.«
    Hermias Zuversicht schwand. Eine Untersuchung bedeutete, dass jemand von außerhalb der Abteilung den Vorfall prüfen würde. Dieser Jemand würde am Ende einen Schuldigen präsentieren müssen – und da war sie nun einmal die Kandidatin Nummer eins. Dennoch wollte sie nichts unversucht lassen und brachte nun die Gründe vor, die sie sich zu ihrer Verteidigung zurechtgelegt hatte:
    »Die beiden Festgenommenen sind in keinerlei geheime Vorgänge eingeweiht. Sie können also gar nichts verraten. Sie gehören zum Bodenpersonal des Flughafens. Einer der Mitternachtsfalken gibt ihnen die Dokumente, die außer Landes geschmuggelt werden sollen, und sie verstecken die Kontrabande in einem ausgehöhlten Bremsklotz.« Hermia wusste, dass die beiden trotzdem eine ganze Reihe von scheinbar harmlosen Kleinigkeiten preisgeben konnten, zum Beispiel zur Frage ihrer Anwerbung und Führung. Ein erfahrener Agentenjäger konnte daraus Anhaltspunkte für die Fahndung nach weiteren Spionen gewinnen.
    »Wer hat ihnen die Unterlagen gegeben?«
    »Matthies Hertz, ein Armee-Leutnant. Er ist jetzt abgetaucht. Den beiden Flugwarten ist kein weiteres Mitglied des Netzes bekannt.«
    »Demnach haben unsere strengen Sicherheitsvorkehrungen den Schaden für die Organisation in Grenzen gehalten.«
    Hermia vermutete, dass Woodie damit einen Satz probte, den er auch seinen Vorgesetzten gegenüber verlauten lassen wollte. Es kostete sie einige

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