Mitternachtsfalken: Roman
mich, wieso da noch keiner daraufgekommen ist.«
»Kann man die Signale von anderen Sendefrequenzen unterscheiden, zum Beispiel von normalen Rundfunksendungen wie den Nachrichten und dergleichen?«
Er nickte. »Man müsste nach einer Folge von Impulsen suchen, sehr schnellen wahrscheinlich, vielleicht tausend pro Sekunde. Das hört sich an wie ein musikalischer Dauerton, sodass man sofort weiß, dass das nicht die BBC sein kann. Und auch von den Morse-Codes des militärischen Funkverkehrs wäre es leicht zu unterscheiden.«
»Sie sind doch Ingenieur. Könnten Sie einen Empfänger bauen, der zum Aufspüren solcher Frequenzen imstande wäre?«
Er überlegte. »Das Gerät müsste vermutlich tragbar sein, nicht wahr?«
»Es sollte in einen Koffer passen, ja.«
»Und batteriebetrieben sein, sodass es überall einsatzfähig ist.«
»Richtig.«
»Denkbar wäre es schon. Es gibt da so eine Gruppe von Eierköpfen in Welwyn, die ständig an solchen Scherzen arbeiten.« Welwyn war eine Kleinstadt zwischen Bletchley und London. »Explodierende Rüben, in Backsteinen versteckte Sender und all so‘n Kram. Denen würde ich das durchaus zutrauen.«
Die Vorspeise kam. Hermia hatte einen Tomatensalat bestellt. Er war mit gehackten Zwiebeln und einem Minzezweig garniert, und sie fragte sich einmal mehr, warum britische Koche partout nicht in der Lage waren, statt Ölsardinen und verkochtem Kohl ein so einfaches und köstliches Gericht wie dieses zustande zu bringen.
»Was hat Sie dazu veranlasst, diese Mitternachtsfalkengruppe aufzubauen?«, fragte Hoare.
Hermia verstand nicht gleich, wie die Frage gemeint war. »Ich hielt es für eine gute Idee.«
»Schon – aber das ist doch eine Idee, auf die nicht unbedingt jede junge Frau so ohne weiteres kommt, wenn ich das mal sagen darf.«
Sie versuchte sich zu erinnern. Der ewige Streit mit einem anderen Bürokraten fiel ihr ein – auch er einer ihrer Vorgesetzten.
Sie wusste selbst kaum noch, warum sie so stur geblieben war. »Ich wollte den Nazis Schaden zufügen«, sagte sie. »Sie haben etwas an sich, was ich als absolut ekelhaft empfinde.«
»Der Faschismus macht für alle Probleme einen falschen Urheber verantwortlich – Menschen anderer Rassen.«
»Ja, ich weiß, aber das ist es nicht. Was mich anwidert, sind diese Uniformen, dieses gespreizte Getue und Herumstolzieren und diese inszenierten Hasstiraden. Das macht mich ganz krank.«
»Wo haben Sie denn das alles mitbekommen? In Dänemark gibt es doch gar nicht so viele Nazis.«
»In den Dreißigerjahren habe ich ein Jahr in Berlin gelebt. Ich habe ihre Aufmärsche gesehen – dieses Salutieren, und wie sie Andersdenkende angespuckt haben und die Schaufenster jüdischer Geschäfte zerschlugen. Ich weiß noch, wie ich damals immer gedacht habe: Diesen Leuten muss man Einhalt gebieten, bevor sie die ganze Welt mit in den Abgrund reißen. Und davon bin ich noch heute überzeugt – mehr denn je sogar.«
Digby Hoare lächelte. »Ich auch.«
Die Fischplatte, die Hermia sich ausgesucht hatte, wurde serviert, und wieder war es verblüffend, was ein französischer Koch trotz der Lebensmittelrationierung und mit ganz einfachen Zutaten auf die Teller zu zaubern verstand – darunter Aalstreifen, einige der bei den Londonern so beliebten Meeresschnecken und ein Carpaccio vom Dorsch, alles ganz frisch und gut gewürzt. Sie aß mit Genuss.
Ab und zu fing sie einen Blick von Digby Hoare auf. Hermia bemerkte, dass sich sein Gesichtsausdruck nie änderte – es war immer die gleiche Mischung aus Verehrung und Lust. Das beunruhigte sie. Angenommen, Hoare verliebte sich in sie, so waren die Folgen absehbar: Kummer und Herzeleid. Aber es machte sie nicht nur verlegen, sondern auch froh, dass es da einen Mann gab, der sie so unverhohlen begehrte. Einmal spürte sie, wie sie errötete, und legte rasch die Hand an ihren Hals, um es zu verbergen.
Mit Absicht wandte sie ihre Gedanken Arne zu. Die ersten Worte hatten sie an der Bar eines Skihotels in Norwegen gewechselt, und Hermia war von Anfang an klar gewesen, dass sie in Arne genau das gefunden hatte, was ihr in ihrem bisherigen Leben fehlte. »Jetzt weiß ich endlich, warum ich noch nie eine zufrieden stellende Beziehung mit einem Mann hatte«, schrieb sie damals an ihre Mutter. »Ganz einfach deshalb, weil ich Arne noch nicht kannte.« Und als er ihr dann einen Heiratsantrag machte, lautete ihre Antwort: »Hätte ich gewusst, dass es Männer wie dich gibt, wäre ich schon seit
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