Mitternachtsfalken: Roman
Jahren verheiratet.«
Sie sagte Ja zu allem, was er ihr vorschlug. Normalerweise war sie so sehr auf ihren eigenen Stil fixiert, dass sie es noch nicht einmal fertig gebracht hatte, ihre Wohnung mit einer Freundin zu teilen. Doch bei Arne war es um ihre Willenskraft geschehen. Jedes Mal, wenn er sie bat, mit ihr auszugehen, stimmte sie zu; wenn er sie küsste, küsste sie ihn zurück; wenn er ihre Brüste unter dem Skipullover streichelte, seufzte sie vor Lust; und wenn er um Mitternacht an die Tür ihres Hotelzimmers klopfte, sagte sie: »Wie schön, dass du kommst!«
Die Gedanken an Arne halfen ihr, Hoare gegenüber kühl zu bleiben. Nach dem Essen brachte sie das Gespräch auf den Krieg. Eine alliierte Armee aus Briten, Commonwealth-Truppen und freien französischen Einheiten war in Syrien einmarschiert. Es handelte sich um ein Scharmützel am äußersten Rand des großen Kriegstheaters, dessen Ausgang sie beide keine besondere Bedeutung zumaßen. Was wirklich zählte, war der Konflikt in Europa – und dabei handelte es sich um einen Krieg der Bomber.
Als sie das Restaurant verließen, war es dunkel, doch über London schien der Vollmond. Sie wandten sich nach Süden, Richtung Pimlico, wo Hermia im Haus ihrer Mutter übernachten wollte. Sie gingen durch den St. James‘s Park, und als der Mond hinter einer Wolke verschwand, drehte Hoare sich zu ihr und küsste sie.
Die geschmeidige Selbstsicherheit seiner Bewegungen musste sie unwillkürlich bewundern. Noch ehe sie sich abwenden konnte, lagen seine Lippen auf den ihren. Mit starker Hand zog er ihren Körper an sich, und ihre Brüste pressten sich gegen seinen Oberkörper. Sie wusste, dass sie eigentlich empört sein sollte, musste zu ihrer Bestürzung aber feststellen, dass sie reagierte. Mit einem Mal erinnerte sie sich, wie schön es war, den harten Körper und die heiße Haut eines Mannes zu spüren, und öffnete, von plötzlichem Verlangen überwältigt, die Lippen für ihn.
Sie küssten sich gierig, ungefähr eine Minute lang. Dann tastete seine Hand nach ihrem Busen – und damit war der Zauber gebrochen. Nein – sie war zu alt und zu solide, um sich in einem Park abgrapschen zu lassen. Sie befreite sich aus seiner Umarmung.
Soll ich ihn vielleicht mit nach Hause nehmen, dachte sie bei sich, malte sich Mags‘ und Bets‘ gequälte Missbilligung aus – und musste angesichts dieser Vorstellung lachen.
»Was soll das?«, fragte er.
Er wirkte beleidigt. Wahrscheinlich meinte er, ihr Gelächter habe etwas mit seiner Behinderung zu tun. Ich darf nicht vergessen, wie anfällig er gegenüber Spott ist, dachte Hermia und beeilte sich, ihm die wahren Gründe zu nennen: »Meine Mutter ist verwitwet und lebt mit einer alten Jungfer zusammen. Ich habe mir gerade ihre Reaktion vorgestellt, wenn ich ihnen eröffnen würde, dass ich einen Mann für die Nacht mit ins Haus bringen möchte.«
Der gekränkte Ausdruck in seinem Gesicht verschwand sofort. »Dieser Gedanke gefällt mir«, sagte er und versuchte erneut, sie zu
küssen.
Die Versuchung war da, aber auch die Erinnerung an Arne. Abwehrend legte sie Digby die Hand auf die Brust und sagte in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ: »Nein, mehr nicht. Bringen Sie mich jetzt nach Hause.«
Sie ließen den Park hinter sich. Hermias vorübergehende Euphorie verflog. Sie war zutiefst verwirrt: Wie war es möglich, dass sie Digby küsste – und es genoss, ihn zu küssen -, obwohl sie doch Arne liebte? Doch als sie gerade an Big Ben und Westminster Abbey vorübergingen, begannen unvermittelt die Luftschutzsirenen zu heulen, und mit einem Schlag waren all diese Gedanken wie weggeblasen.
»Sollen wir uns einen Bunker suchen?«, fragte Digby.
Es gab viele Londoner, die bei Bombenangriffen die Schutzräume gar nicht mehr aufsuchten. Einige hatten die schlaflosen Nächte satt und nahmen das Risiko auf sich. Andere reagierten mit Fatalismus: Wenn dich eine Bombe erwischen soll, dann erwischt sie dich auch, da kannst du ohnehin nichts dran ändern. Hermia war nicht ganz so blase, hatte andererseits aber auch nicht die Absicht, die Nacht mit dem liebeshungrigen Digby Hoare im Luftschutzkeller zu verbringen. Nervös drehte sie den Verlobungsring an ihrer Linken. »Es sind nur noch ein paar Minuten«, erwiderte sie. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir weitergehen?«
»Dann muss ich die Nacht womöglich doch noch im Haus Ihrer Mutter verbringen.«
»Da hab ich wenigstens meine Anstandsdamen.«
Sie gingen
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