Mitternachtsfalken: Roman
Hermia, Sten und Lars den Hügel hinunter zum Kai. Zwei weitere Dänen warteten bereits auf sie. Die Morganmand war sehr klein – mit ihren etwas mehr als zehn Metern Länge gerade mal so lang wie ein Londoner Bus. Das Schiff war aus Holz gebaut, hatte einen Mast und wurde von einem Dieselmotor angetrieben. Auf Deck befanden sich ein kleines Ruderhaus und mehrere Luken, die in den Laderaum hinabführten. Vom Ruderhaus führte ein Niedergang in die Quartiere. Am Heck waren massive Rundhölzer und die Netzwinden installiert.
Am Östlichen Himmel deutete sich die Morgendämmerung an, als der kleine Trawler sich durch die zu Verteidigungszwecken verminte Hafenausfahrt ins offene Meer hinausschlängelte. Das Wetter war gut, doch kaum hatten sie den Schutz der Küste hinter sich gelassen, ging die Dünung gut anderthalb Meter hoch.
Glücklicherweise wurde Hermia niemals seekrank.
Den ganzen Tag über versuchte sie sich auf dem Boot nützlich zu machen. Da sie von der Seefahrt keine Ahnung hatte, hielt sie die Kombüse sauber. Die Männer waren es gewohnt, selber zu kochen, doch Hermia wusch das Geschirr ab und schrubbte auch die Bratpfanne, in der die Seeleute nahezu alles brutzelten, was sie zu sich nahmen. Sie suchte das Gespräch mit den beiden neu hinzugekommenen Besatzungsmitgliedern und unterhielt sich mit ihnen auf Dänisch; es gelang ihr damit, eine freundliche, auf gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme beruhende Atmosphäre zu schaffen. Wenn sie nichts anderes zu tun fand, suchte sie sich einen Platz an Deck und genoss den Sonnenschein.
Gegen Mittag erreichten sie den Outer Silver Pit, ein relativ tiefes Meeresgebiet an der Südostecke der Doggerbank, und begannen die Netze auszuwerfen. Anfangs waren ihre Bemühungen vergeblich, und die Netze wurden fast leer wieder hochgezogen. Erst am späteren Nachmittag wendete sich das Blatt, und die Fische kamen in Mengen.
Als es dunkel wurde, ging Hermia ins Quartier und legte sich in eine Koje. Sie rechnete gar nicht damit, Schlaf zu finden, doch nachdem sie seit sechsunddreißig Stunden unentwegt auf den Beinen gewesen war, überwältigte die Müdigkeit ihre innere Anspannung. Binnen Minuten war sie eingeschlafen.
In der Nacht wurde sie einmal kurz vom vulkanischen Donnern einer über das Boot hinwegfliegenden Bomberstaffel aufgeweckt und fragte sich, ob das wohl die Royal Air Force auf dem Weg nach Deutschland oder die Luftwaffe im Anflug auf England war, versank dann aber sofort wieder in Schlaf.
Das Nächste, was ihr bewusst wurde, war, dass Lars sie schüttelte. »Wir sind jetzt ungefähr hundertzwanzig Meilen vor Morlunde. Näher kommen wir an die dänische Küste kaum heran.«
Hermia nahm ihren Kofferempfänger mit an Deck. Es war bereits helllichter Tag. Die Männer holten gerade ein Netz voller wild um sich schlagender Fische ein, vor allem Heringe und Makrelen, und kippten ihre Beute in eine der Ladeluken. Hermia empfand diesen Anblick als grausam und sah weg.
Sie schloss die Batterie an und freute sich, als sie die Anzeigen aufflackern sah. Mit einem Stück Draht, das Digby Hoare ihr in weiser Voraussicht mitgegeben hatte, befestigte sie die Antenne am Mast. Dann wartete sie, bis das Gerät warm wurde, und setzte den Kopfhörer auf.
Während das Schiff nordostwärts tuckerte, suchte Hermia die ganze Bandbreite der Frequenzen ab. Außer den BBC-Nachrichten schnappte sie französische, holländische, deutsche und dänische Radiosendungen auf. Hinzu kam ein ganzer Schwarm von Morsesignalen, die sie für militärische Sendungen von beiden Seiten hielt. Nach ihrem ersten Durchgang war ihr nichts aufgefallen, was man als Radar hätte interpretieren können.
Sie wiederholte die Prozedur, langsamer dieses Mal, damit ihr ja nichts entging. Zeit hatte sie schließlich genug. Doch auch diesmal fand sie nicht, was sie suchte.
Sie probierte es wieder und wieder.
Erst zwei Stunden später fiel ihr auf, dass die Männer nicht mehr fischten, sondern sie beobachteten. Sie sah Lars an, und er fragte sie: »Schon Glück gehabt?«
Sie nahm den Kopfhörer ab und antwortete auf Dänisch: »Nein, das Signal, das ich erwarte, kommt nicht rein.«
Sten antwortete: »Die Fische kamen die ganze Nacht in Schwärmen. Wir haben einen guten Fang gemacht. Der Laderaum ist voll. Wir müssen bald zurück.«
»Könnten Sie noch ein bisschen weiter nach Norden fahren? Ich muss dieses Signal finden, das ist wirklich äußerst wichtig.«
Sten schien mit sich zu ringen, doch sein
Weitere Kostenlose Bücher