Mitternachtsfalken: Roman
weitere Peilung. Das Signal war inzwischen schwächer geworden, doch die dritte Linie, die Hermia auf der Karte einzeichnen konnte, bildete mit den anderen beiden ein Dreieck, das den größten Teil der Insel Sande einschloss. Alle Berechnungen ergaben nur Annäherungswerte, doch das Ergebnis schien klar: Das Radarsignal kam von der Insel.
Sie konnte es kaum noch abwarten, Hoare zu informieren.
D ie Tiger Moth war für Harald die schönste Maschine, die er je gesehen hatte. Sie sah aus wie ein Schmetterling, der sich gleich in die Lüfte erheben wollte – obere und untere Flügel gespreizt, die spielzeugautohaften Räder federleicht auf dem Gras und hinten das lange, spitz zulaufende Leitwerk. Das Wetter war schön. Ab und zu ließ ein Windstoß das kleine Flugzeug erzittern, was den Eindruck verstärkte, es fiebere geradezu dem Start entgegen. In der Nase der Maschine saß der einzige Motor, der den großen, cremefarbenen Propeller antrieb. Hinter dem Motor befanden sich zwei offene Cockpits hintereinander.
Die Tiger Moth war gewissermaßen die Schwester der verwahrlosten Hornet Moth, die er in der Klosterruine bei Kirstenslot gesehen hatte. Von der Konstruktion her waren sich die beiden Typen auch sehr ähnlich – nur dass die Hornet Moth über eine geschlossene Kabine mit zwei Sitzen nebeneinander verfügte. Doch während er die Hornet Moth in einem bemitleidenswerten Zustand kennen gelernt hatte – einseitig abgesackt wegen ihres defekten Fahrgestells, mit zerrissener, ölverschmierter Bespannung und aufgeplatzten Polstern, sah die Tiger Moth picobello aus – der Rumpf erstrahlte im Glänze frischer Farbe, die Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe. Das Leitwerk ruhte auf dem Boden, die Nase zeigte nach oben, als schnuppere sie frische Luft.
»Ihr seht, dass die Flügel auf der Unterseite flach und auf der Oberseite gewölbt sind«, sagte Haralds Bruder, Arne Olufsen. »Wenn die Maschine fliegt, wird die Luft auf der Oberseite gezwungen, schneller zu fließen als jene, die unten vorbeiströmt.« Arne lächelte – dieses einnehmende Lächeln, um dessentwillen man ihm alles verzieh – und sagte: »Aus Gründen, die mir bis heute schleierhaft sind, wird das Flugzeug durch diesen Effekt in die Luft gehoben.«
»Das liegt an den unterschiedlichen Druckverhältnissen«, sagte Harald.
»Ja, in der Tat«, erwiderte Arne trocken.
Die Abiturklasse der Jansborg Skole verbrachte einen Tag in der Flugschule der Armee in Vodal. Arne und sein Freund Poul Kirke zeigten ihnen das Gelände. Es handelte sich um eine Werbeveranstaltung des Militärs, dem es zusehends schwerer fiel, junge, intelligente Männer zum Beitritt zu einer Truppe zu überreden, die nichts zu tun hatte. Heis mit seiner militärischen Vergangenheit war sehr daran gelegen, dass Jansborg jedes Jahr ein oder zwei Schüler zur Armee entsenden konnte – und für die jungen Männer war der Ausflug eine willkommene Unterbrechung der Paukerei auf das Examen.
»Die mit Scharnieren montierten kleinen Flächen an den unteren Flügeln sind die Querruder«, erläuterte Arne. »Sie sind durch Drähte und Kabel mit dem Steuerknüppel verbunden, der manchmal auch Joystick genannt wird. Die Gründe dafür kann ich euch nicht erklären, dafür seid ihr noch zu jung.« Er grinste. »Wenn der Steuerknüppel nach links bewegt wird, hebt sich das linke Querruder und das rechte geht nach unten. Dies bewirkt, dass sich die Maschine zur Seite neigt und folglich nach links kurvt. Wir nennen das Seiten Schräglage.«
Harald war fasziniert. Am liebsten wäre er sofort eingestiegen und losgeflogen.
»Ihr seht, dass auch der hintere Teil der Höhenflosse beweglich ist. Wir bezeichnen sie als das Höhenruder, das die Nase des Flugzeugs rauf- oder runterzieht. Wenn man den Steuerknüppel zurückzieht, bewegt sich das Höhenruder nach oben und drückt den Schwanz nach unten, sodass die Maschine steigt.«
Harald fiel auf, dass der senkrechte Teil der Höhenflosse ebenfalls eine Klappe hatte. Er deutete darauf und fragte: »Wozu ist die gut?«
»Das ist das Seitenruder. Es wird über zwei Pedale im Fußraum des Cockpits gesteuert. Es funktioniert genauso wie das Steuerruder eines Schiffs.«
»Wozu braucht man das Seitenruder?«, warf Mads ein. »Zur Richtungsänderung benutzt man doch die Querruder.«
»Guter Einwand!«, sagte Arne. »Zeigt mir, dass ihr zuhört! Aber kommt ihr nicht vielleicht auch allein auf die Antwort? Wozu brauchen wir Seitenruder und Querruder,
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