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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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einen trübbraunen Schal und wickelte ihn um ihren Kopf, sodass ihr leicht erkennbares Haar zur Gänze und ihr Gesicht teilweise verdeckt wurden.
    Die Schwedin hakte sich bei Digby Hoare ein. Die beiden ließen das Ehrengrabmal hinter sich und spazierten in den Garten zurück.
    Hermia blieb noch ein paar Minuten stehen und tat so, als studiere sie den kunstvollen schmiedeeisernen Zaun, der das Grabmal umfriedete. Sie fürchtete, der Schatten könne Verdacht geschöpft haben und noch einmal nachsehen. Aber es geschah nichts.
    Dann trat sie hinter dem Grabmal hervor, zog den Schal ein wenig enger um ihr Gesicht, bog um die Ecke und kam wieder in den Garten. Immer noch rechnete sie damit, dass der Mann im grauen Anzug irgendwo auf der Lauer lag. Doch jetzt sah sie Digby Hoare und ihr Double. Sie befanden sich schon kurz vor dem Ausgang auf der anderen Seite des Parks – und der Schatten folgte ihnen. Der Plan war aufg e g an g en .
    Hermia ging in die gleiche Richtung, ein Schatten des Schattens. Wie vereinbart, begaben sich Hoare und die Schwedin auf schnellstem Wege zu dem Wagen, der auf dem Platz auf sie wartete. Hermia sah, wie sie in den Volvo stiegen und wegfuhren. Der Schatten folgte ihnen im Mercedes. Wenn alles klappte, wurde er dadurch wieder zur Britischen Gesandtschaft gelockt und konnte dann berichten, dass die beiden englischen Besucher den Nachmittag mit harmlosen touristischen Zerstreuungen verbracht hätten.
    Und Hermia war frei.
    Sie überquerte die Stadhus-Brücke und ging mit schnellen Schritten Richtung Stadtmitte und Gustaf-Adolf-Platz. Sie brannte darauf, ihre Aufgabe zu erfüllen.
    In den vergangenen vierundzwanzig Stunden hatten sich die Dinge mit verwirrender Schnelligkeit entwickelt. Hermia hatte nur wenige Minuten Zeit gehabt, ein paar Kleidungsstücke in einen Rucksack zu stopfen, dann war sie auch schon mit Hoare in einem schnellen Wagen gesessen und ins schottische Dundee gefahren, wo sie sich kurz nach Mitternacht in einem Hotel einquartierten. Im Morgengrauen hatte man sie zum Flughafen Leuchars an der Küste von Fife gebracht, wo bereits eine Crew der Royal Air Force in den zivilen Uniformen der British Overseas Airways Corporation bereitstand, um sie nach Stockholm zu fliegen. Der Flug dauerte drei Stunden. In der britischen Gesandtschaft aßen sie zu Mittag; dann machten sie sich an die Umsetzung des Planes, den sie im Wagen zwischen Bletchley und Dundee ausgearbeitet hatten.
    Da Schweden neutral war, konnte man von dort aus mit Dänemark telefonieren. Auch der Postverkehr zwischen den beiden Ländern funktionierte. Hermia hatte vor, ihren Verlobten Arne anzurufen. Auf der dänischen Seite wurden Telefongespräche abgehört und Briefe von der Zensurbehörde geöffnet, weshalb in der Wortwahl äußerste Vorsicht geboten war. Hermia musste sich ein Täuschungsmanöver ausdenken, das in den Ohren unerwünschter Lauscher absolut harmlos klang – und gleichzeitig Arne für die Widerstandsbewegung anwarb.
    Als sie 1939 die Mitternachtsfalken aufgebaut und organisiert hatte, war Arne von ihr bewusst nicht mit einbezogen worden. An seinen politischen Überzeugungen hatte es nicht gelegen – er war genauso gegen die Nazis wie sie, wenngleich nicht mit derselben Leidenschaft. Arne hielt die Nazis für dumme Clowns in albernen Uniformen, die es darauf anlegten, den Menschen den Spaß zu verderben. Nein, das Problem war vielmehr sein argloses, unbekümmertes Wesen. Für die verdeckte Tätigkeit eines Agenten war er einfach zu offen und zu freundlich. Und obwohl Poul, was die mangelnde Eignung Arnes betraf, durchaus mit ihr konform ging, kam möglicherweise noch hinzu, dass sie sich gescheut hatte, ihren Verlobten in Gefahr zu bringen.
    Inzwischen hatte sich jedoch die Situation dramatisch verändert. Arne war so unbekümmert wie eh und je – nur sie selbst war verzweifelt und kannte keinen anderen, an den sie sich hätte wenden können.
    Davon abgesehen, hatte sich die persönliche Einstellung der Menschen zur Gefahr seit Ausbruch des Krieges geändert. Tausende von viel versprechenden jungen Männern hatten bereits ihr Leben gelassen. Arne war Offizier: Man erwartete von ihm geradezu, dass er sich für sein Land in Gefahr begab.
    Und trotzdem wurde Hermia kalt ums Herz, wenn sie daran dachte, worum sie ihn nun bitten wollte.
    Sie bog in die Vasagatan ein, eine viel frequentierte Geschäftsstraße, in der neben mehreren Hotels auch der Hauptbahnhof und die Hauptpost lagen. In Schweden waren

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