Mitternachtsflut
tauchte nicht mehr auf und so traf Marie ihre Entscheidung, indem sie einzig auf ihr Herz hörte, das so klar und deutlich wie nie zuvor zu ihr sprach. Der Mond stand hoch am Himmel als sie sich – entgegen jeder Vernunft - auf den Weg zum Strand machte. Die Decke fest um sich geschlungen und mit einem Herz das so laut schlug, dass sie glaubte es von den Felswänden widerhallen zu hören. Kaum am Strand angekommen, suchten ihre Augen nach dem warmen Feuerschein aus der Höhle. Doch da war nichts außer dem kalten Leuchten des Mondes. Marie lies ihre Augen suchend über die Klippen schweifen, doch sie war alleine, alleine mit sich und ihren wild durcheinander stürzenden Gedanken und Gefühlen. Sie setzte sich auf einen kleinen Felsen, schlang die Decke noch etwas fester um sich und beobachtete die hohen, kräftigen Wellen, die mit Macht ans Ufer drückten. Der silberne Schein des Mondes tauchte das Meer in ein weißliches, unnatürliches Licht. Immer wieder wandte Marie sich in die Richtung in der sie Miguelangels Höhle wusste, doch nichts außer Dunkelheit und der Kühle des Nacht umgaben sie. Musste sie sich erneut in Lebensgefahr begeben, um ihn sehen zu können? Musste sie wieder dem Tod nahe sein, um ihn bei sich zu haben? Verwirrt starrte sie auf die silbernen Schlieren der starken Strömung im Mondlicht. Wenn es das war was sie tun musste, dann würde sie es eben tun.
Langsam lies sie die Decke von den Schultern gleiten und streifte ihr Kleid ab. Es war kühl und sie fröstelte. Auch war ihr der Gedanke an das kalte Wasser nach ihrem damaligen Erlebnis nicht geheuer. Sie schlang frierend die Arme um ihren Oberkörper und ging langsam und vorsichtig hinunter zum Wasser. Die Wogen schienen regelrecht nach ihr zu rufen. Marie zitterte und sie wusste nicht ob aus Angst oder wegen der heran kriechenden Kälte. Sie hielt sich an den scharfkantigen Klippen fest und streckte einen Fuß ins Wasser. Gerade wollte sie sich ins Wasser gleiten lassen, als direkt neben ihrem Ohr Manolos traurige Stimme erklang:
„Marie, was bei allen Göttern tust du hier? Wir haben doch so oft darüber gesprochen! Ist es das was du als Geduld bezeichnest? “
Fast wäre sie abgerutscht, doch Manolos Hände waren schneller. Wortlos half er ihr hoch zu klettern, reichte ihr das Kleid und die Decke. Er sprach auch kein Wort mit ihr, als sie den vom Mond erleuchteten Weg durch die Schlucht antraten. Stumm ging er neben ihr her und Marie wurde klar, dass sie einen großen Fehler begangen hatte. Sie hatte gegen die Regeln verstoßen, hatte ihren Dickkopf durchgesetzt und war doch hinunter zum Stand gelaufen. Hatte er ihr nicht unzählige Male eingehämmert, dass sie einfach nur warten musste?
Hatte er ihr nicht immer wieder gesagt, dass sie Geduld aufbringen müsste und einfach nur daran glauben solle, dass alles gut geht?
Der Tag war so wunderschön gewesen und nun dieses Ende. Marie hob den Blick und sah Manolo zaghaft an. Der aber blickte stur geradeaus und seine versteinerte Miene verhieß nichts Gutes. So wagte sie es nicht etwas zu sagen und stolperte, mittlerweile blind vor Tränen, neben ihm her. Als sie oben ankamen, verwehrte Manolo es ihr nicht, hinter ihm in seinen Patio zu kommen. Als er sich, noch immer voll schwer unterdrückter Enttäuschung, aber eindeutig auch einem Hauch Wut, zu ihr umdrehte, war es um den letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung geschehen. Sie sank auf die kleine Bank, zog die Beine hoch, legte ihre Arme darum, senkte die Stirn auf die kalten Knie und begann haltlos zu schluchzen. Sie wurde von einem so starken Weinkrampf geschüttelt, dass es ihr schwer fiel, einigermaßen vernünftig zu atmen. Manolo schaffte es nur eine kleine Weile, sich das anzusehen. Dann lief er in die Küche und kam mit einer bauchigen braunen Likörflasche und einer Packung eiskalter Milch zurück. Er goss eine gute Portion des goldfarbenen „Liquor 43“ in ein hohes Glas, füllte mit der kalten Milch auf und reichte das Glas dann Marie.
„Na komm, das Zeug magst du doch so gerne. Ich denke jetzt kannst du es gut vertragen.“ Marie stürzte das ganze Glas in einem Zug hinunter, denn erstens war sie durstig und zweitens brauchte sie den Alkohol jetzt tatsächlich, auch wenn er an den Tatsachen nichts ändern würde. Wortlos mixte Manolo ihr das zweite Glas. „Manolo, es tut mir so leid. Ich habe einen großen, ja einen riesengroßen Fehler gemacht. Dabei wollte ich nur dort hinunter und ihm wissen lassen, dass ich alles tun
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