Mitternachtsflut
umständlich. „Äh, Vicente, haben wir...?“
Er sah sie mit den unschuldigsten Augen der Welt von der Seite an. „Haben wir was?“ „Och komm, jetzt mach es mir doch nicht so schwer! Haben wir miteinander geschlafen??“ „Ja, das hätten wir sicher, denn du warst recht gut drauf.“ Vicente grinste.
Marie versenkte stöhnend den Kopf im Kissen. Doch dann spürte sie Vicentes Hand, die vorsichtig ihr Gesicht zu sich drehte. „Haben wir aber nicht. Denn ich heiße nun einmal nicht Miguelangel. Da bin ich eigen.“
Marie wagte kaum ihm ins Gesicht zu sehen. Als sie es dann zwangsweise doch tat, sah sie zu ihrer Erleichterung, dass er sie anlächelte. „Der Typ muss schon was ganz Besonderes sein, wenn du ihn „mein Leben“ nennst. Grüß den Kerl von mir. Wenn er dir jemals weh tun sollte, trete ich ihn kräftig in den Arsch. Aber jetzt solltest du, glaube ich, besser gehen. Du kannst es doch wahrscheinlich eh nicht mehr erwarten.“
Am liebsten wäre Marie Vicente jetzt um den Hals gefallen und hätte ihn geküsst, so dankbar war sie dem Freund. Doch das hätte wieder schief gehen können. Also hauchte sie nur ein Dankeschön in seine Richtung. Er borgte ihr sogar noch eine Jeans die ihr viel zu groß war und ein blau-weiß kariertes Hemd und wünschte ihr alles Glück der Welt. Marie dankte schweigend allen Göttern dafür, solche Freunde zu haben.
Als sie, ihre Klamotten unter dem Arm, barfuss zu ihrem Käfer flitzte, konnte sie nur hoffen dass niemand sie sah, der sie kannte. Aber das war jetzt auch schon alles egal. Nur noch weg von hier. Wehe Manolo war jetzt nicht da. Sie brauchte ihn so dringend wie schon lange niemanden mehr in ihrem Leben.
Noch war es ruhig auf den Straßen der Stadt, Marie kam gut voran und bald hatte sie Puerto hinter sich gelassen. Ihr Käfer quälte sich die Straße hinauf in die Berge. Heute gönnte sie ihm keine Pause und keine Schonung. Jeder Meter brachte sie näher dorthin, wohin sie jetzt wollte. Nur dort wollte sie sein, nur dorthin gehörte sie. Das war ihr so klar wie ihr noch nie etwas in ihrem Leben gewesen war. Dort oben waren die zwei Menschen die sie aus ganzem Herzen liebte. Wie freute sie sich auf Manolos Gesicht, auf sein Lächeln. Sie konnte sich kaum vorstellen wie schön es sein musste, dort mit ihm und – sie wagte es kaum zu hoffen – mit Miguelangel zu leben. Zwar konnte sie sich noch nicht vorstellen, wie sie und Manolo die plötzliche Anwesenheit des schönen jungen Guanchen den anderen erklären sollten, doch sie kannte Manolo, auch dafür würde er eine Lösung haben. So wie für alles!
Keine Menschseele kreuzte heute ihren Weg und sie war dankbar dafür. Rasch parkte sie ihren Käfer neben Manolos Jeep. Dem Himmel sei Dank, er war da. Marie raffte ihre Siebensachen zusammen, warf alles in die Reisetasche und lief mit großen Schritten durch das verlassene Dorf zu ihrem und Manolos Haus. Ihr Herz ging auf, als sie die Blütenpracht an ihrer Hausmauer sah. Endlich zuhause!
Atemlos bog sie um die Ecke und stürzte in den kleinen Garten. Sie warf ihre Tasche auf den Gartentisch und eilte zur Türe. Auch wenn sie ihn jetzt aufwecken würde, das war egal, da musste er durch. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als sie sich vorstellte, wie er zuerst ärgerlich und dann doch strahlend in der Türe stehen würde.
Voller Vorfreude klopfte sie an Manolos schwere Haustüre. Es dauerte eine kleine Weile bis sie sich öffnete. Doch es war nicht Manolos Gesicht in das Marie blickte. Vor Marie stand – mit ernstem Gesicht – Don Jaime, der Chef der Guardia Civil von Teneriffa und einer von Manolos wenigen Freunden. Marie war verblüfft, ihn schon so früh hier oben vorzufinden. „Don Jaime, guten Morgen. Das ist aber eine Überraschung. Sie haben sich lange nicht mehr hier blicken lassen.“ Noch während sie sprach, erkannte sie, dass etwas nicht stimmte. Don Jaime war in Uniform, so kam er sonst nie hierher. Hinter ihm, in Manolos Haus, erkannte sie schemenhaft die Umrisse von weiteren Polizisten. War denn die halbe Guardia Civil heute um diese Zeit schon auf den Beinen?
Don Jaime streckte seine Hand aus und umgriff Maries Arm. „Marie, bitte kommen Sie doch einmal mit. Er führte sie zu einem der Gartenstühle. „Bitte setzen Sie sich Marie.“ Aber Marie wollte sich nicht setzen, sie wollte Manolo sehen. „Don Jaime, wo ist Manolo? Ist etwas passiert hier in Masca? Wo ist er denn?“ Don Jaime suchte ganz offensichtlich nach Worten.
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