Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
geteilt werden, dann war erneut von Teilung die Rede. Und was die Stadt selbst betraf – sie sollte die Hauptstadt von Maharashtra sein, oder sowohl von Maharashtra und Gujarat, oder ein unabhängiger Staat für sich ... Während die Regierung versuchte, zu klären, was in aller Welt sie tun sollte, beschlossen die Bewohner der Stadt, mitzuhelfen, damit es schnell ging. Krawalle breiteten sich aus (und man konnte immer noch das alte Schlachtlied der Mahrattas hören – Wie geht’s dir? Mir geht’s gut! Ich nehm’ den Stock und schlag’ dich tot! – , das sich über die Schlägereien erhob), und um alles noch schlimmer zu machen, trug das Wetter zu dem Wirrwarr bei. Es gab eine schlimme Dürre, Straßen wurden rissig, in den Dörfern wurden Bauern gezwungen, ihre Kühe zu schlachten; und an Weihnachten (dessen Bedeutung jeder Junge, der auf eine Missionsschule ging und von einer katholischen Ayah gegängelt wurde, wohl oder übel zur Kenntnis nehmen musste) gab es eine Reihe geräuschvoller Explosionen im Walkeshwar-Reservoir, und die Hauptwasserleitungen, die Lebensadern der Stadt, begannen Fontänen in die Luft zu blasen wie riesige Stahlwale. Die Zeitungen waren voll von Gerede über Saboteure; Spekulationen über die Identität und die politische Zugehörigkeit der Verbrecher machten Berichten über die anhaltende Welle von Hurenmorden den Platz streitig. (Mich interessierte besonders die Information, dass der Mörder seine eigene seltsame «Handschrift» hatte. Die Damen der Nacht waren alle erdrosselt worden, und die Leichen hatten blaue Flecken am Hals, Flecken, die für Daumenabdrücke zu groß, aber mit den Abdrücken, die ein Paar riesiger, übernatürlich mächtiger Knie hinterlassen würde, vollkommen zu vereinbaren waren.)
Aber ich schweife ab. Was, fragt Padmas Stirnrunzeln fordernd, hat das alles mit Evelyn Lilith Burns zu tun? Augenblicklich nehme ich sozusagen Habachtstellung ein und liefere die Antwort: In den Tagen nach der Zerstörung der städtischen Trinkwasserversorgung begannen sich die streunenden Katzen Bombays in den Stadtgebieten
zu versammeln, wo es noch relativ reichlich Wasser gab; das heißt in den wohlhabenderen Gebieten, in denen jedes Haus seine eigene Zisterne über oder unter dem Haus hatte. Und infolgedessen wurde das zweigeschossige Hügelchen von Methwold’s Estate von einer Armee durstiger Katzentiere überschwemmt; Katzen schwärmten über die ganze Manege aus, Katzen kletterten Bougain-villeen hoch und sprangen in Wohnzimmer, Katzen stießen Vasen um und tranken das abgestandene Blumenwasser, Katzen kampierten in Badezimmern und schlürften Flüssigkeit aus den Klosetts, Katzen nahmen in den Küchen von William Methwolds Palästen überhand. Die Dienstboten des Anwesens wurden bei ihren Versuchen, die große Katzeninvasion zurückzuschlagen, besiegt; die Damen des Anwesens konnten nur noch hilflose Entsetzensschreie ausstoßen. Überall lagen die harten, trockenen Würmer aus Katzenexkrementen; Gärten wurden durch die schiere Anzahl der Katzen zugrunde gerichtet; und nachts fand kein Mensch Schlaf, wenn die Armee sich äußerte und ihren Durst zum Mond sang. (Die Baroness Simki von der Heiden weigerte sich, die Katzen zu bekämpfen; sie zeigte schon Anzeichen der Krankheit, die in Kürze zu ihrem Ableben führen sollte.)
Nussie Ibrahim rief meine Mutter an, um zu verkünden: «Amina, Schwester, das ist das Ende der Welt.»
Sie irrte sich, denn am dritten Tag nach der großen Katzeninvasion besuchte Evelyn Lilith Burns, ihre Daisy-Luftpistole lässig in der Hand haltend, der Reihe nach jeden Haushalt des Anwesens und bot an, gegen eine Prämie die Miezenplage im Eiltempo zu beenden.
Den ganzen Tag lang hallte Methwold’s Estate von den Geräuschen aus Evies Luftpistole und dem gequälten Maunzen der Katzen wider, als Evie der Reihe nach die ganze Armee aufstöberte und dadurch reich wurde. Aber – wie die Geschichte so oft beweist – der Augenblick des größten Triumphes birgt auch den Keim in sich, der schließlich zum Sturz führt, und so erwies es sich auch hier,
denn was das Messingäffchen betraf, so brachte Evies Katzenverfolgung das Fass zum Überlaufen.
«Bruder», sagte das Messingäffchen grimmig zu mir, «ich hab’ dir gesagt, das Mädchen kauf’ ich mir noch, und jetzt, genau jetzt ist die Zeit reif.»
Unbeantwortbare Fragen: Stimmte es, dass meine Schwester sowohl die Sprache der Katzen als auch die der Vögel erlernt hatte? War es ihre
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