Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
enger zusammen, enger und enger, bis es einen Knacks gibt. «Hab’ sein verdammtes Handgelenk gebrochen, Mann! Das war ihm eine Lehre – verdammt gut, was? Das schwör’ ich dir!»
Shiva und ich wurden unter dem Aszendenten Steinbock geboren; mich ließ die Konstellation unbehelligt, aber Shiva gab sie ihre Gabe. Der Steinbock ist, wie jeder Astrologe Ihnen sagen kann, das Tierkreiszeichen, das Macht über die Knie besitzt.
Am Wahltag 1957 erlitt die allindische Kongresspartei einen gewaltigen Schock. Obwohl sie die Wahl gewann, machten zwölf Millionen Stimmen die Kommunisten zur größten einzelnen Oppositionspartei, und in Bombay unterließ eine große Menge Wähler es trotz der Anstrengungen von Boss Patil, ihr Kreuz hinter das Kongresssymbol der heiligen Kuh und des säugenden Kalbs zu machen, und zog das weniger gefühlvolle Piktogramm der Samyukta Maharashtra Samiti und der Maha Gujarat Parishad vor. Wenn die kommunistische Gefahr auf unserem Hügelchen diskutiert wurde, errötete meine Mutter weiterhin, und wir fanden uns mit der Teilung des Staates Bombay ab.
Ein Mitglied der Mitternachtskinder-Konferenz spielte bei den
Wahlen eine untergeordnete Rolle. Winkies angeblicher Sohn Shiva wurde angeworben von – nun, vielleicht nenne ich den Namen der Partei besser nicht, aber nur eine Partei war in der Lage, wirklich große Summen auszugeben –, und am Wahltag konnte man ihn und seine Bande, die sich Cowboys nannte, vor einem Wahllokal im Norden der Stadt stehen sehen. Manche hielten lange stabile Stöcke in der Hand, andere jonglierten mit Steinen, wieder andere stocherten mit Messern in den Zähnen, und alle ermunterten die Wählerschaft, ihre Stimme weise und mit Bedacht abzugeben ... Und nachdem die Wahllokale geschlossen hatten, wurden an den Wahlurnen Siegel aufgebrochen? Wurden die Urnen mit getürkten Stimmzetteln gefüllt? Auf jeden Fall wurde bei der Stimmenauszählung entdeckt, dass der Rote Qasim es knapp verfehlt hatte, einen Sitz zu erringen; und die Zahlmeister meines Rivalen waren sehr erfreut.
... Doch nun sagt Padma nachsichtig: «Was war das für ein Datum? »Und ohne nachzudenken, sage ich: «Irgendwann im Frühjahr. »Und dann fällt mir ein, dass mir ein weiterer Irrtum unterlaufen ist – dass die Wahlen 1957 vor und nicht nach meinem zehnten Geburtstag stattfanden; aber obwohl ich mir das Gehirn zermartert habe, weigert mein Gedächtnis sich hartnäckig, die Ereignisfolge zu ändern. Das ist beunruhigend. Ich weiß nicht, was schief gelaufen ist.
In dem sinnlosen Versuch, mich zu trösten, sagt sie: «Warum machst du so ein langes Gesicht? Jeder vergisst doch mal ’ne Kleinigkeit, andauernd!»
Aber wenn kleine Dinge verschwinden, folgen dann große nicht dicht hinterher?
Alpha und Omega
Aufruhr herrschte in Bombay in den Monaten nach der Wahl, Aufruhr herrscht in meinen Gedanken, wenn ich mich dieser Tage nun erinnere. Mein Irrtum hat mich völlig aus der Fassung gebracht; deshalb stelle ich mich, um wieder das Gleichgewicht zu erlangen, fest auf den vertrauten Boden von Methwold’s Estate, lege die Geschichte der Mitternachtskinder-Konferenz zur einen, den Schmerz über das Café Pionier zur anderen Seite und berichte Ihnen über den Fall von Evie Burns.
Ich habe diese Episode etwas seltsam betitelt. «Alpha und Omega»starrt mir vom Blatt entgegen und verlangt nach einer Erklärung – eine merkwürdige Überschrift für die Halbzeit meiner Geschichte, eine, die nach Anfang und Ende riecht, während man doch sagen könnte, sie sollte sich mehr mit der Mitte befassen. Ich bin jedoch gänzlich unbußfertig und beabsichtige nicht, sie zu ändern, obwohl es viele Alternativtitel gibt, zum Beispiel «Von Äffchen zu Rhesus» oder «Finger Redux» oder – etwas verblümter –«Der Ganter», eine deutliche Anspielung auf den mythischen Vogel, den Hamsa oder Parahamsa, Symbol des Vermögens, in zwei Welten zu leben, der konkreten und der geistigen, der Welt von Land-und-Wasser und der Welt von Luft-und-Flug. Aber «Alpha und Omega» ist es, und «Alpha und Omega» bleibt es. Denn hier gibt es Anfänge und alle möglichen Enden, aber Sie werden ja bald sehen, was ich meine.
Padma schnalzt gereizt mit der Zunge. «Du redest schon wieder so komisch», kritisiert sie. «Erzählst du nun von Evie oder nicht?»
... Nach den allgemeinen Wahlen war sich die Zentralregierung immer noch nicht über die Zukunft Bombays schlüssig. Der Staat
sollte geteilt werden, dann nicht
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