Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Zuneigung zu Katzen, die sie so weit trieb? ... Zur Zeit der großen Katzeninvasion war das Haar des Äffchens zu Braun verblasst, sie hatte ihre Gewohnheit, Schuhe zu verbrennen, aufgegeben, aber immer noch, und wer weiß aus welchem Grund, hatte sie ein Ungestüm, das keiner von uns anderen je besaß; und sie ging hinunter in die Manege und brüllte aus vollem Hals: «Evie! Evie Burns! Komm raus, auf der Stelle, wo immer du auch steckst!»
Von fliehenden Katzen umgeben, erwartete das Äffchen Evelyn Burns. Ich ging hinaus auf den Balkon im ersten Stock, um zuzusehen; Sonny und Schlitzauge und Haaröl und Cyrus sahen von ihren Balkonen aus ebenfalls zu. Wir sahen Evie Burns aus der Richtung der Küchen von Versailles Villa auftauchen; sie pustete den Rauch vom Lauf ihrer Pistole.
«Ihr Inder könnt von Glück sagen, dass ihr mich hier habt», erklärte Evie, «sonst hätten euch diese Katzen einfach aufgefressen.»
Wir sahen Evie verstummen, als sie sah, was da so angespannt in den Augen des Äffchens lauerte, und dann fiel das Äffchen wie der Blitz über Evie Burns her, und es begann eine Schlacht, die mehrere Stunden zu dauern schien (es können aber nur ein paar Minuten gewesen sein). Vom Staub der Manege eingehüllt, wälzten sie sich, traten kratzten bissen sie, kleine Haarbüschel stiegen aus der Staubwolke auf, und man sah Ellbogen und Füße in beschmutzten weißen Söckchen und Knie und Kleiderfetzen, die aus der Staubwolke flogen, Erwachsene kamen herbeigerannt, Dienstboten konnten sie nicht auseinander zerren, und schließlich richtete Homi Catracks Gärtner seinen Schlauch auf sie, um sie zu trennen ... das Messingäffchen
stand ein wenig taumelig auf, schüttelte den durchnässten Saum ihres Kleides und nahm die Strafandrohungen, die über Amina Sinais und Mary Pereiras Lippen kamen, nicht zur Kenntnis; denn da, in dem nassen Schmutz der Manege, lag Evie Burns, mit zerbrochener Zahnklammer, das Haar mit Staub und Spucke überzogen, ihr Geist und ihre Herrschaft über uns ein für alle Mal gebrochen.
Wenige Wochen später schickte ihr Vater sie endgültig nach Hause.«Damit sie eine anständige Erziehung in sicherer Entfernung von diesen Wilden bekommt», hörte man ihn sagen; ich hörte nur einmal von ihr, sechs Monate später, als sie mir aus heiterem Himmel den Brief schrieb, der mich darüber informierte, dass sie eine alte Dame erstochen hatte, die gegen ihren Angriff auf eine Katze protestiert hatte. «Der hab’ ich’s vielleicht gegeben», schrieb Evie. «Sag deiner Schwester, sie hat noch mal Glück gehabt.» Ich salutiere vor dieser unbekannten alten Frau: Sie hat die Rechnung des Äffchens bezahlt.
Interessanter als Evies letzte Mitteilung ist ein Gedanke, der mir nun einfällt, da ich durch den dunklen Tunnel der Zeit zurückblicke. Während ich mir das Bild vom Äffchen und von Evie, die sich im Schmutz wälzen, vor Augen halte, kann ich, glaube ich, die treibende Kraft hinter ihrem Kampf auf Leben und Tod ausmachen, einen Beweggrund, der viel schwerer wiegt als die bloße Verfolgung von Katzen: Sie kämpften meinetwegen. Als Evie und meine Schwester (die sich in vieler Hinsicht nicht unähnlich waren) traten und kratzten, ging es vorgeblich um das Schicksal von ein paar durstigen, streunenden Tieren; doch vielleicht galten Evies Tritte mir, vielleicht drückten sie die Gewalt ihrer Wut über mein Eindringen in ihren Kopf aus, und vielleicht war die Kraft des Äffchens die Kraft ihrer geschwisterlichen Treue und ihr Kriegsakt in Wirklichkeit ein Akt der Liebe.
Blut wurde also in der Manege vergossen. Ein anderer verworfener Titel für diese Seiten hieß – Sie dürfen es ruhig wissen –«Dicker als
Wasser». In jenen Tagen der Wasserknappheit lief etwas Dickeres als Wasser über Evie Burns’ Gesicht, die Bande des Blutes motivierten das Messingäffchen, und in den Straßen der Stadt vergossen Randalierer gegenseitig ihr Blut. Es geschahen blutige Morde, und vielleicht ist es nicht ganz passend, diesen Blutkatalog mit der nochmaligen Erwähnung zu beenden, dass meiner Mutter das Blut in die Wangen schoss. Zwölf Millionen Stimmen in jenem Jahr waren rot, und Rot ist die Farbe des Blutes. Bald wird noch mehr Blut fließen: die Blutgruppen A und 0, Alpha und Omega – und noch eine weitere, dritte Möglichkeit – müssen festgehalten werden. Auch andere Faktoren: Zygotie und Kell’sche Antikörper und das mysteriöseste aller Merkmale des Blutes, bekannt als Rhesus, was
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