Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Wänden meines Kopfes wider. «Das ist doch lauter Quatsch, Mann. Was können wir mit so einer Bande schon anstellen? Banden müssen Bandenbosse haben. Ich zum Beispiel»(wieder blähte er sich auf vor Stolz), «ich bin hier in Matanga schon seit zwei Jahren der Anführer einer Bande. Seit ich acht bin. Ältere Kinder und alles. Was hältst du davon?» Und ich, ohne es zu wollen: «Was macht sie denn, deine Bande – hat sie Regeln und so was?» Shiva-Gelächter in meinen Ohren ... «Ja, kleiner reicher Bengel: eine Regel. Jeder tut, was ich sage, oder ich quetsche ihm mit meinen Knien die Scheiße aus dem Leib!» Verzweifelt versuchte ich weiterhin, Shiva zu meiner Ansicht zu bekehren: «Die Sache ist, wir müssen doch für einen bestimmten Zweck hier sein, findest du nicht? Ich meine, es muss einen Grund geben, dem musst du doch zustimmen. Also hab’ ich mir gedacht, dass wir versuchen sollten, herauszufinden, was das ist, und dann, weißt du, dem unser Leben weihen ...» «Reicher Bengel!», brüllte Shiva. «Du hast doch keinen blassen Schimmer! Was für ein Zweck, Mann? Was in dieser beschissenen Welt hat schon einen Grund, Yara? Aus welchem Grund bist du reich und ich arm? Wo liegt der Grund fürs Hungern, Mann? Gott weiß wie viele Millionen verdammte Idioten leben in diesem Land, Mann, und du glaubst, es gibt einen Zweck! Mann, ich will dir was sagen – du musst dir nehmen, was du kannst, damit tun, was du kannst, und dann musst du sterben. Da hast du deinen Grund, reicher Knabe. Alles andere ist nur gottverdammtes Geschwafel !»
Und nun beginne ich in meinem Mitternachtsbett zu beben ... «Aber die Geschichte», sage ich, «und der Ministerpräsident hat mir
einen Brief geschrieben ... und glaubst du noch nicht einmal an ... wer weiß, was wir könnten ...» Er, mein Alter Ego Shiva, mischt sich ein: «Hör mal zu, kleiner Junge – du hast so viel schwachsinniges Zeug im Kopf, dass ich schon sehe, ich muss das hier übernehmen. Du sagst das gefälligst all den anderen Freaks!»
Nase und Knie und Knie und Nase ... die Rivalität, die in jener Nacht begann, sollte nie enden, bis zwei Messer zuschlugen, hineinhineinhinein ... ob der Geist Mian Abdullahs, den Messer vor Jahren getötet hatten, in mich hineingetröpfelt war, mir den Gedanken an einen losen Zusammenschluss eingeflößt und mich durch Messer verwundbar gemacht hatte, kann ich nicht sagen; aber in diesem Augenblick nahm ich mein bisschen Mut zusammen und sagte zu Shiva: «Du kannst die Konferenz nicht leiten; ohne mich können sie dich ja noch nicht einmal hören!»
Und er bekräftigte die Kriegserklärung: «Reiches Kind, sie werden alles über mich wissen wollen. Versuch mal, mich aufzuhalten!»
«Ja», sagte ich zu ihm, «das werde ich versuchen!»
Schiwa, der Gott der Vernichtung, der auch der allmächtigste der Götter ist; Schiwa, der größte aller Tänzer; der, der auf einem Stier reitet; der, dem keine Macht widerstehen kann ... der Junge Shiva, erzählte er uns, hatte von Anfang an ums Überleben kämpfen müssen. Und als sein Vater ungefähr ein Jahr zuvor seine Stimme restlos verloren hatte, musste Shiva sich gegen Wee Willie Winkies väterlichen Eifer verteidigen. «Er verband mir die Augen, Mann! Er hat mir einen Lumpen um die Augen gewickelt und mich aufs Dach vom Chawl gebracht, Mann! Wisst ihr, was er in der Hand hatte? Einen gottverdammten Hammer, Mann! Einen Hammer! Der Hundesohn wollte mir die Beine zerschlagen, Mann – so was passiert, weißt du das, reicher Knabe, das machen sie mit Kindern, damit sie mit Betteln immer Geld verdienen können – du kriegst nämlich mehr, wenn du ganz verschandelt bist, Mann! Er schubst mich also so lange, bis ich auf dem Dach lieg’, Mann, und dann ...»
Und dann wurde ein Hammer geschwungen, hinunter, auf Knie zu, die größer und höckriger waren als die jedes Polizisten, ein leichtes Ziel, aber nun traten die Knie in Aktion, schneller als der Blitz gingen die Knie auseinander – sie spürten den Luftzug des herabstürzenden Hammers – und spreizten sich weit, und dann senkte sich der Hammer, immer noch von des Vaters Hand gehalten, zwischen die Knie, und dann ballten die Knie sich zusammen wie Fäuste. Der Hammer polterte harmlos auf Beton. Wee Willie Winkies Handgelenk war eingeklemmt zwischen den Knien seines Sohnes, dem er die Augen verbunden hatte. Heisere Atemzüge entweichen den Lippen des gepeinigten Vaters. Und immer noch schließen die Knie sich
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