Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
leisten. Für seine Mutter zog er eine Art Brokatrock und einen Turban an; um der Sohnespflicht willen ließ er Millionen von Anhängern seinen kleinen Finger küssen. Im Namen der Mutterliebe wurde er wirklich Herr Khusro, das erfolgreichste heilige Kind der Geschichte, und im Handumdrehen wurde er von Menschenmassen begrüßt, die bis zu einer halben Million zählen mochten, Wunder wurden ihm zugeschrieben, amerikanische Gitarristen kamen und saßen zu seinen Füßen, und sie alle brachten ihre Scheckbücher mit. Herr Khusrovand legte sich Buchhalter und Steuerparadiese zu und einen Luxusdampfer mit Namen Khusrovand Sternenschiff und ein Flugzeug – Lord Khusros Astralflieger. Und irgendwo in diesem milde lächelnden, Segen verteilenden Jungen ... an einem Ort, der durch den erschreckend tüchtigen Schatten seiner Mutter auf immer verdeckt war (sie hatte immerhin im selben Haus wie die Narlikar-Frauen gewohnt; wie gut kannte sie sie? wie viel von deren Furcht erregender Kompetenz war auf sie übergegangen?), lauerte der Geist eines Jungen, der einmal mein Freund gewesen war.
«Dieser Herr Khusro?», fragt Padma erstaunt. «Du meinst denselben Mahaguru, der letztes Jahr im Meer ertrunken ist?» Ja, Padma, er konnte nicht auf dem Wasser gehen; und nur sehr wenigen Menschen, die mit mir in Berührung gekommen sind, ist ein natürlicher Tod vergönnt gewesen ... lass mich gestehen, dass Cyrus’ Vergötterung mich ein wenig ärgerte. «Ich hätte es sein sollen», dachte ich sogar, «ich bin das Zauberkind; nicht nur meine Vorrangstellung zu Hause ist dahin, sondern auch meine wahre innerste Natur ist nun entwendet worden.»
Padma, ich wurde nie ein «Mahaguru», nie saßen mir Millionen zu Füßen, und das war meine eigene Schuld, denn vor vielen Jahren
war ich eines Tages hingegangen, um Cyrus’ Vortrag über die Teile einer Frau zu hören.
«Was?» Padma schüttelt verdutzt den Kopf. «Was soll denn das jetzt?» Der Atomphysiker Dubash besaß eine wunderschöne kleine Marmorstatue – eine nackte Frau –, und mit Hilfe dieser Figur hielt sein Sohn fachmännische Vorträge über weibliche Anatomie vor einem Publikum kichernder Jungen. Nicht umsonst; Cyrus-der-Große erhob eine Gebühr. Als Gegenleistung für Anatomie verlangte er Comic-Heftchen – und ich gab ihm in aller Unschuld ein Exemplar von diesem kostbarsten aller Superman-Comics, dem mit der Rahmengeschichte von der Explosion des Planeten Krypton und dem Raketenflugzeug, in dem sein Vater Jor-El ihn durch den Weltraum beförderte, damit er auf der Erde landen und von den guten freundlichen Kents adoptiert würde ... hat niemand sonst das gesehen? Hat in all den Jahren niemand begriffen, dass Frau Dubash den mächtigsten aller modernen Mythen umarbeitete und neu erfand – die Legende vom Kommen des Superman? Ich sah die Reklametafeln, die das Kommen des Herrn Khusro Khusrovand Bhagwan herausposaunten, und sah mich wieder einmal gezwungen, die Verantwortung für die Ereignisse in meiner turbulenten, sagenhaften Welt zu übernehmen.
Wie ich die Beinmuskeln meiner um mich besorgten Padma bewundere! Da hockt sie, einen Meter von meinem Tisch entfernt, den Sari nach Art der Fischweiber hochgezurrt. Wadenmuskeln zeigen kein Anzeichen von Anstrengung, Schenkelmuskeln, die sich durch Sarifalten abzeichnen, stellen ihre löbliche Kraft zur Schau. Stark genug, um ewig zu hocken, gleichzeitig der Schwerkraft und dem Krampf trotzend, lauscht Padma gelassen meiner weitschweifigen Geschichte. O mächtige Picklesfrau! Welch beruhigende Solidität, welch tröstliche Aura von Dauerhaftigkeit in ihrem Bizeps und Trizeps ... denn meine Bewunderung erstreckt sich auch auf ihre Arme, die meine im Nu niederringen könnten und aus denen es, wenn sie mich allnächtlich in zwecklosen Umarmungen umschließen,
kein Entkommen gibt. Nachdem wir unsere Krise hinter uns gebracht haben, leben wir in vollkommener Harmonie: Ich erzähle, ihr wird erzählt; sie ist mir zu Diensten, ich nehme ihre Dienste bereitwillig an. Ich bin tatsächlich ganz und gar zufrieden mit der duldsamen Kraft von Padma Mangroli, die unerklärlicherweise mehr interessiert ist an mir als an meinen Geschichten.
Warum ich beschlossen habe, mich über Padmas Muskulatur auszulassen: In diesen Tagen erzähle ich meine Geschichte ebenso sehr ihren Muskeln wie irgendetwas oder irgendeinem anderen (beispielsweise meinem Sohn, der bis jetzt noch nicht einmal lesen gelernt hat). Weil ich mit
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