Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
einer mageren Range zu einer schlanken Schönheit mit schräg stehenden Augen und goldener Haut, deren Haar fast so lang war, dass sie sich darauf setzen konnte; sogar ihre Nase sah gut aus. «Bei meiner Tochter», sagte Ahmed Sinai stolz zu Onkel Puffs, «dominieren die edlen Züge meiner Seite der Familie.» Onkel Puffs warf einen komisch-verlegenen Blick auf mich und räusperte sich. «Verflixt gut aussehendes Mädchen, Sir», sagte er zu meinem Vater. «Wirklich Klasse, heiliger Strohsack!»
Wo immer sie auftauchte, drang Beifallsdonner an die Ohren meiner Schwester: Bei ihrem ersten, mittlerweile legendären Konzertabend im Bambino (wir saßen auf Plätzen, die Onkel Puffs reserviert hatte –«die verflixt besten Plätze im Haus!» –, neben seinen sieben Puffias, alle verschleiert ... Onkel Puffs knuffte mich in die Rippen: «He, Junge – wähl! Such dir eine aus! Denk an die Mitgift! », und ich wurde rot und starrte angestrengt auf die Bühne) waren die Wah!- Wah!- Rufe manchmal lauter als Jamilas Stimme, und nach dem Auftritt ertrank Jamila hinter der Bühne in einem Meer von Blumen. Wir mussten uns den Weg durch den blühenden Kampfergarten der Liebe der Nation erkämpfen, und als wir zu ihr vorgedrungen waren, war sie einer Ohnmacht nahe, nicht vor Erschöpfung, sondern weil die Blüten den Raum mit dem überwältigend süßen Parfüm der Anbetung erfüllten. Auch ich merkte, wie mir schwindlig wurde, bis Onkel Puffs begann, Blumen in großen Sträußen aus dem Fenster zu schleudern – sie wurden von Scharen ihrer Anhänger aufgesammelt –, während er brüllte: «Blumen sind gut und schön, verflixt nochmal, aber selbst eine Nationalheldin braucht Luft!»
Beifall gab es auch an dem Abend, an dem Jamila die Sängerin (samt Familie) in die Residenz des Präsidenten eingeladen wurde, um für den Befehlshaber der Pfefferstreuer zu singen. Wir ignorierten
Berichte in ausländischen Zeitungen über veruntreute Gelder und Schweizer Bankkonten und schrubbten uns, bis wir glänzten; eine Familie im Handtuchgeschäft ist zu makelloser Sauberkeit verpflichtet. Onkel Puffs polierte seine Goldzähne besonders sorgfältig, und in einer großen Halle, beherrscht von girlandenbekränzten Porträts von Muhammad Ali Jinnah, dem Gründer Pakistans, dem Qaid-i-Azam, und seinem ermordeten Freund und Nachfolger Liaqat Ali, wurde ein Laken mit einem Loch hochgehalten, und meine Schwester sang. Jamilas Stimme verstummte schließlich; die Stimme einer goldenen Fangschnur folgte auf ihr brokatumrandetes Lied. «Jamila Tochter», hörten wir, «deine Stimme wird ein Schwert für die Reinheit sein; sie wird eine Waffe sein, mit der wir die Seelen der Menschen reinigen.» Präsident Ayub war, wie er selbst zugab, ein einfacher Soldat; er flößte meiner Schwester die einfachen soldatischen Tugenden des Glaubens an den Führer und des Vertrauens in Gott ein, und sie sprach: «Der Wille des Präsidenten ist die Stimme meines Herzens.» Durch das Loch in einem Laken weihte Jamila die Sängerin sich dem Patriotismus, und der Diwan-i-khas, die Halle, in der diese Privataudienz stattfand, hallte vom Applaus wider, der nun sehr gesittet klang – nicht das wilde Wah-Wah der Menge im Bambino, sondern der reglementierte Beifall von Orden-und-Epauletten mit Fangschnüren und das entzückte Klatschen rührseliger Eltern. «Ich muss schon sagen!», flüsterte Onkel Puffs. «Verflixt gut, nicht wahr?»
Was ich riechen konnte, konnte Jamila singen. Wahrheit Schönheit Glück Schmerz: Alles hatte einen eigenen Duft und konnte von meiner Nase unterschieden werden; jedes konnte in Jamilas Darbietungen seinen idealen Ausdruck finden. Meine Nase, ihre Stimme: Die Begabungen ergänzten sich vollkommen, entwickelten sich aber auseinander. Während Jamila patriotische Lieder sang, schien meine Nase lieber bei den hässlicheren Gerüchen zu verweilen, die in sie eindrangen: der Bitterkeit von Tante Alia, dem scharfen unveränderlichen Gestank der Kleingeisterei meiner
Kommilitonen, sodass sie in die Wolken aufstieg, während ich in die Gosse fiel.
Im Nachhinein betrachtet, glaube ich jedoch, dass ich schon verliebt in sie war, lange ehe man es mir sagte ... gibt es einen Beweis für Saleems unaussprechliche Schwesterliebe? Es gibt einen. Jamila die Sängerin hatte mit dem verschwundenen Messingäffchen eine Leidenschaft gemeinsam: Sie liebte Brot. Chapatis, Parathas, Tandoori nans? Ja, aber. Also nun: Wurde Hefe bevorzugt? In der Tat;
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