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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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nach Jamilas fünfzehntem Geburtstag in Alia Aziz’ Haus auf, stramm und strahlend und mit einem Mund voll massiver Goldzähne, die er gern vorzeigte. «Ich bin ein einfacher Kerl», erklärte er, «wie unser erlauchter Präsident. Ich verwahre mein Bargeld an einem sicheren Ort!» Wie unser erlauchter Präsident hatte er einen vollkommen kugelförmigen Kopf, aber anders
als Ayub Khan hatte Latif die Armee verlassen und war ins Showgeschäft eingestiegen. «Pakistans absoluter Nummer-eins-Impresario, alter Freund», erzählte er meinem Vater. «Gehört sonst nichts dazu außer Organisation, alte Angewohnheit aus der Militärzeit, ist nicht totzukriegen.»
    Major Latif hatte einen Vorschlag: Er wollte Jamila singen hören.«Und wenn sie nur ein Zehntel so gut ist, wie man mir gesagt hat, mein guter Mann, dann mache ich sie berühmt! Jawohl, über Nacht, gewiss doch! Kontakte: Das ist alles, was man braucht; Kontakte und Organisation; und Ihr sehr ergebener Major (a. D.) Latif hat das alles. Alauddin Latif», betonte er und strahlte Ahmed Sinai golden an. «Kennen Sie die Geschichte? Ich reibe bloß meine gute alte Lampe, und schon hopst der Geist heraus und bringt Ruhm und Reichtum. Ihr Mädchen wird in verflixt guten Händen sein. Verflixt guten.»
    Es ist ein Glück für die unzählbaren Anhänger von Jamila der Sängerin, dass Ahmed Sinai in seine Ehefrau verliebt war; durch sein eigenes Glück milde gestimmt, unterließ er es, den Major auf der Stelle hinauszuwerfen. Mittlerweile glaube ich außerdem, dass meine Eltern bereits zu dem Schluss gekommen waren, dass die Gabe ihrer Tochter zu außergewöhnlich war, als dass sie sie für sich hätten behalten können; der erhebende Zauber ihrer Engelsstimme hatte begonnen, sie die kategorischen Imperative des Talents zu lehren. Doch eine Sorge hatten Ahmed und Amina. «Unsere Tochter», sagte Ahmed – entgegen dem Anschein stets der Altmodischere von beiden –, «stammt aus guter Familie, aber Sie wollen sie auf eine Bühne vor Gott weiß wie viele fremde Männer stellen ...?» Der Major sah beleidigt aus. «Sir», sagte er förmlich, «glauben Sie etwa, ich sei ein Mann ohne Feingefühl? Habe doch selbst Töchter, alter Freund. Sieben, dem Himmel sei Dank. Habe ein kleines Reisebüro für sie organisiert, alles läuft übers Telefon. Würde nicht im Traum dran denken, sie in ein Bürofenster zu setzen. Es ist genau genommen das größte Reisebüro im Land, das so funktioniert. Tatsache
ist, wir schicken Zugführer nach England, Busunternehmer auch. Ich will damit sagen», fügte er hastig hinzu, «dass Ihrer Tochter ebenso viel Respekt entgegengebracht würde wie meinen. Sogar noch mehr: Sie wird ein Star!»
    Major Latifs Töchter – Safia, Rafia und fünf weitere -afias – wurden von dem, was in meiner Schwester noch vom Äffchen übrig blieb, insgesamt «die Puffias» tituliert; ihr Vater erhielt zunächst den Spitznamen «Vater Puffia» und dann – ein Ehrentitel – Onkel Puffs. Und er hielt Wort; binnen sechs Monaten waren Jamilas Lieder zu Hits geworden, sie hatte eine Armee von Bewunderern, alles; und all das, wie ich gleich erklären werde, ohne ihr Gesicht zu zeigen.
    Onkel Puffs wurde zu einer festen Einrichtung in unserem Leben; fast allabendlich besuchte er das Haus in der Clayton Road, und zwar um die Stunde, die für mich immer noch die Cocktailstunde war, um Granatapfelsaft zu schlürfen und Jamila zu bitten, ihm etwas vorzusingen. Sie, die sich zum sanftmütigsten aller Mädchen entwickelte, tat ihm stets den Gefallen ... danach räusperte er sich, als sei ihm etwas in der Kehle stecken geblieben, und begann, mit mir reichlich derb übers Heiraten zu scherzen. Vierundzwanzigkarätiges Grinsen blendete mich: «Zeit, dass du dir eine Frau nimmst, junger Mann. Hör auf meinen Rat: Such dir ein Mädchen mit gutem Verstand und schlechten Zähnen aus, dann hast du einen Freund und einen Geldschrank in einem!» Onkel Puffs Töchter, behauptete er, entsprächen alle der obigen Beschreibung ... Verlegen, weil ich roch, dass er es nur halb im Spaß meinte, rief ich: «Oh, Onkel Puffs!» Er kannte seinen Spitznamen, mochte ihn sogar ganz gern. Er schlug mir auf den Oberschenkel und rief. «Spielst wohl den Spröden, was? Verflixt richtig. Okay, mein Junge: Du suchst dir eins meiner Mädchen aus, und ich garantiere dir, dass ich ihr alle Zähne ziehen lasse. Bis du sie dann heiratest, hat sie ein Eine-Million-Lächeln als Mitgift.» Worauf es meiner

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