Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
ließ ... während Stabsoffizier Iskandar seine Fingerknöchel an den Rockaufschlägen rieb, erteilte Hauptfeldwebel Najmuddin Befehle: Einundsechzig Männer und neunzehn Hunde wurden geheißen, die Uniform abzulegen. Heftiges Rascheln in der Hütte: Neunzehn Individuen gehorchen bedingungslos und entfernen Hundehalsbänder mit Kennmarken. Die Hunde, ausgezeichnet trainiert, ziehen die Augenbrauen kraus, geben aber nicht Laut, und gehorsam beginnt der Buddha sich auszuziehen. Fünf Dutzend Mitmenschen folgen seinem Beispiel; fünf Dutzend stehen im Nu stramm und zittern in der Kälte neben ordentlichen Häufchen
von Militärmützen Hosen Schuhen Hemden grünen Pullovern mit Lederflicken an den Ellbogen. Einundsechzig Mann, nackt bis auf die nicht ganz makellose Unterwäsche, werden (von Lala Moin, dem Offiziersburschen) mit Zivilkleidung aus Armeebeständen versehen; Najmuddin bellt einen Befehl, und dann stehen sie alle da, manche in Lungis und Kurtas, manche in Pathanen-Turbanen. Es gibt Männer in billigen Baumwollhosen und Männer in gestreiften Angestelltenhemden. Der Buddha trägt Dhoti und Kameez; er fühlt sich wohl, aber um ihn herum winden sich Soldaten in schlecht sitzender Zivilkleidung. Dies ist jedoch eine militärische Operation; keine Stimme, weder eine menschliche noch eine hündische, erhebt sich, um Klage zu führen.
Am 15. März wurden zwanzig HESPNAT-Einheiten, nachdem sie Anordnungen bezüglich der Bekleidung nachgekommen waren, via Ceylon nach Dacca geflogen; unter ihnen waren Shaheed Dar, Farooq Rashid, Ayooba Baloch und ihr Buddha. Ebenfalls auf dieser umständlichen Route flogen sechzigtausend der hartgesottensten Soldaten des Westflügels in den Ostflügel; die sechzigtausend waren wie die einundsechzig alle in Zivil. Der befehlshabende Offizier im Generalsrang (in einem schmucken blauen Zweireiher) war Tikka Khan; der Offizier, der Dacca zu Fall brachte und dann die Kapitulation erzwang, wurde Tiger Niazi genannt. Er trug ein Buschhemd, lange Hosen und auf dem Kopf einen flotten kleinen Filzhut.
Via Ceylon flogen wir, sechzigtausend und einundsechzig unschuldige Flugpassagiere, und da wir es vermieden, Indien zu überfliegen, verpassten wir die Chance, aus siebentausend Metern Höhe die Feiern für Indira Gandhis Neue Kongresspartei zu beobachten, die kurz zuvor bei einer anderen Wahl einen überwältigenden Sieg errungen hatte – 350 von 515 Sitzen in der Lok Sabha. Ohne etwas von Indira zu wissen, ohne ihren Wahlslogan GARIBI HA-TAO, Fort mit der Armut, zu sehen, der überall in dem großen Diamanten Indien auf Mauern und Bannern prangte, landeten wir
zu Anfang des Frühjahrs in Dacca und wurden in eigens requirierten Zivilbussen in ein Militärlager gefahren. Während dieses letzten Stadiums unserer Reise kamen wir jedoch nicht umhin, Fetzen eines Liedes zu hören, das aus einem unsichtbaren Grammophon erklang. Das Lied hieß «Amar Sonar Bangla» («Unser goldenes Bengalen», Verfasser: R. Tagore), und darin kam vor: «Im Frühling macht der Duft deiner Mangohaine mein Herz vor Entzücken trunken.» Da jedoch keiner von uns Bengali verstehen konnte, waren wir gegen den hinterhältig umstürzlerischen Text gefeit, auch wenn unsere Füße, ohne es zu wollen, den Takt mitschlugen (das muss zugegeben werden).
Zunächst wurde Ayooba Shaheed Farooq und dem Buddha der Name der Stadt, in die sie gekommen waren, nicht mitgeteilt. Ayooba, der der Vernichtung von Vegetariern entgegenfieberte, raunte: «Hab’ ich’s euch nicht gesagt? Jetzt zeigen wir’s denen! Spionage und so, Mann! Zivilkleidung und alles! Auf los geht’s los, Einheit Nummer 22! Schra-bumm, Schra-bamm, Schra-proch!»
Doch wir waren nicht in Indien; Vegetarier waren nicht unser Ziel; und nachdem man uns tagelang hatte schmoren lassen, wurden wieder Uniformen an uns ausgegeben. Diese zweite Verwandlung fand am 25. März statt.
Am 25. März brachen Yahya und Bhutto abrupt ihre Gespräche mit Mujib ab und kehrten in den Westflügel zurück. Es wurde Abend; Stabsoffizier Iskandar, gefolgt von Najmuddin und Lala Moin, der unter dem Gewicht von einundsechzig Uniformen und neunzehn Hundehalsbändern schwankte, platzte in die HESPNAT-Baracken herein. Najmuddin: «Jetzt aber los! Taten, nicht Worte! Eins, zwei, hopplahopp!» Flugpassagiere legten Uniformen an und griffen zu Waffen, während Stabsoffizier Iskandar endlich den Zweck unseres Ausflugs bekannt gab. «Dieser Mujib», offenbarte er, «dem geben wir eins aufs Dach. Den
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