Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
verantwortlich gemacht werden, dass Mukti Bahini aufgenommen wurden. Der Buddha und drei Jungen spüren niedere Funktionäre der Awami-Liga und bekannte Kommunisten auf. Vorbei an auswandernden Dorfbewohnern geht es, die ihren Besitz in Bündeln auf dem Kopf tragen, vorbei an aufgerissenen Eisenbahnschienen und ausgebrannten Bäumen, und immer, als ob eine unsichtbare Macht ihre Schritte lenkte und sie in ein noch finstereres Herz des Wahnsinns zöge, werden sie nach Süden Süden Süden geschickt, immer näher zum Meer, zum Delta des Ganges und zum Meer.
Und schließlich – wem folgten sie damals? Spielten Namen noch eine Rolle? – hetzte man sie auf ein Wild, dessen Geschicklichkeit der des Buddhas gleich und entgegengesetzt gewesen sein muss – weshalb sonst dauerte die Jagd so lange? Schließlich stecken sie – unfähig, ihrer Ausbildung zu entkommen: unermüdlich zu fahnden, unerbittlich zu verhaften – mittendrin in einer Mission, deren Ende nicht abzusehen ist, und fahnden nach einem Feind, der sich ihnen endlos entzieht; doch sie können sich nicht mit leeren Händen bei ihrem Stützpunkt zurückmelden, und weiter geht’s, nach Süden Süden Süden, vorwärts gelockt von der sich ewig entfernenden Geruchsfährte und vielleicht von noch etwas mehr: Denn noch nie in meinem Leben war das Schicksal abgeneigt, mir zu helfen.
Sie haben ein Boot gekapert, denn der Buddha sagte, die Spur führe den Fluss hinunter; hungrig unausgeschlafen erschöpft in einem Universum verlassener Reisfelder rudern sie ihrem unsichtbaren Beutestück nach; den großen braunen Fluss hinunter fahren sie, bis der Krieg zu weit weg ist, als dass sie sich daran erinnern könnten, aber der Geruch lockt sie immer noch weiter. Der Fluss hat hier einen vertrauten Namen: Padma. Doch der Name ist eine Täuschung; in Wirklichkeit ist der Fluss immer noch Sie, die Mutter allen Wassers, die Göttin Ganga, die durch Schiwas Haar hinunter zur Erde strömt. Der Buddha hat seit Tagen nicht gesprochen; er zeigt bloß, hierhin, dort lang, und sie fahren weiter, nach Süden Süden Süden zum Meer.
Ein namenloser Morgen. Ayooba Shaheed Farooq erwachen im Boot ihrer absurden Verfolgungsjagd, das am Ufer des Padma-Ganges vertäut ist – und stellen fest, dass er weg ist. «Allah, Allah», jault Farooq auf. «Haltet euch die Ohren und betet um Barmherzigkeit; er hat uns in diese überschwemmte Gegend gebracht und ist abgehauen. Es ist alles deine Schuld, du, Ayooba, du mit deinem Trick mit den Elektrokabeln, und das ist seine Rache!» ... Die Sonne steigt auf. Seltsame, fremdartige Vögel sind am Himmel. Hunger und Angst nagen wie Mäuse an ihren Bäuchen: Und wasistwenn, wasistwenn die Mukti Bahini ... Eltern werden um Hilfe angerufen. Shaheed hat seinen Granatapfeltraum geträumt. Verzweiflung plätschert gegen die Planken des Boots. Und in der Ferne kurz vor dem Horizont, eine unmögliche endlose riesige grüne Mauer, die sich rechts und links bis an die Enden der Erde erstreckt! Unausgesprochene Furcht: Wie kann das sein, wie kann das, was wir da sehen, wahr sein, wer baut Mauern quer über die Welt? ... Und dann Ayooba: «Seht mal, seht, Allah!» Denn durch die Reisfelder kommt eine bizarre Jagd in Zeitlupe auf sie zu: Zuerst der Buddha mit seiner Gurkennase, aus einer Meile Entfernung kann man sie erkennen, und durch die Reisfelder planschend folgt ihm ein wild gestikulierender Bauer mit einer Sense, ein in Rage gebrachter Vater
Zeit, während entlang einem Deich eine Frau mit lose herunterhängendem Haar läuft, die ihren Sari zwischen den Beinen hochgerafft hat und mit lauter Stimme bittet und kreischt, während der Rächer mit der Sense durch unter Wasser stehenden Reis stolpert, von Kopf bis Fuß mit Wasser und Schlamm bedeckt. Ayooba brüllt vor nervöser Erleichterung: «Der alte geile Bock! Hat seine Finger nicht von den Dorfweibern lassen können! Mach schon, Buddha, lass dich nicht erwischen; der säbelt dir sonst beide Gurken ab!» Und Farooq: «Aber was dann? Wenn der Buddha in Stücke gehauen ist, was dann?» Und nun zieht Ayooba-der-Panzer eine Pistole aus dem Halfter. Ayooba zielt: Er streckt beide Hände aus, versucht, nicht zu zittern, und zieht ab: Eine Sense schwingt sich in die Luft. Und langsam langsam erheben sich die Arme eines Bauern, als wolle er beten, Knie knien sich ins Reisfeld, ein Gesicht fällt nach vorn unter die Wasseroberfläche, um mit der Stirn den Boden zu berühren. Auf dem Deich jammert eine
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