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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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lassen wir über die Klinge springen, unter Garantie!»
    (Am 25. März, nach dem Scheitern der Gespräche mit Bhutto und
Yahya, rief Scheich Mujibur Rahman den Staat Bangladesch aus.) HESPNAT-Einheiten drangen aus den Baracken hervor, drängten sich in wartende Jeeps, während sich die auf Band aufgenommene Stimme von Jamila der Sängerin durch die Lautsprecher des Militärstützpunktes in patriotischen Hymnen erhob. (Und Ayooba stieß den Buddha in die Rippen: «Hör mal, komm schon, erkennst du nicht – denk doch mal, Mann, ist das nicht deine liebe – Allah, dieser Typ ist bloß zum Schnüffeln gut!»)
    Um Mitternacht – hätte es denn schließlich eine andere Zeit sein können? – verließen sechzigtausend Elitesoldaten ebenfalls ihre Baracken; Passagiere, die als Zivilisten geflogen waren, starteten nun die Panzer. Ayooba Shaheed Farooq und der Buddha jedoch wurden persönlich ausgewählt, um Stabsoffizier Iskandar beim größten Abenteuer dieser Nacht zu begleiten. Ja, Padma: Als Mujib verhaftet wurde, war ich es, der ihn aufspürte. (Sie hatten mir eins seiner alten Hemden geliefert; es ist leicht, wenn man den Geruch einmal hat.)
    Padma ist beinahe außer sich vor Angst. «Aber Herr, du hast doch nicht, kannst doch nicht, du würdest doch so was nicht tun ...!» Padma, ich hab’s getan. Ich habe geschworen, alles zu erzählen; kein Körnchen Wahrheit zu verbergen. (Aber auf ihrem Gesicht sind Schneckenspuren, und sie muss eine Erklärung haben.)
    Also bin ich gezwungen – glauben Sie mir oder glauben Sie mir nicht, aber es war so! -, noch einmal zu wiederholen, dass alles endete und alles wieder begann, als ein Spucknapf mich am Hinterkopf traf. Saleem mit seiner verzweifelten Suche nach Bedeutung, einem würdigen Zweck, allumhüllender Genialität war verschwunden und sollte nicht eher wiederkehren, bis eine Dschungelschlange - für den Augenblick jedoch gibt es nur den Buddha, der keine singende Stimme als Verwandte erkennt; der sich weder an Väter noch an Mütter erinnert; für den Mitternacht keine Bedeutung hat; der einige Zeit nach einem reinigenden Unfall im Bett eines Militärkrankenhauses erwachte und die Armee als sein Los hinnahm;
der sich dem Leben fügt, zu dem er erwacht, und seine Pflicht tut; der Befehlen folgt; der sowohl in der Welt als auch außerhalb der Welt lebt; der den Kopf beugt; der Mensch oder Tier über Straßen und durch Flüsse aufspüren kann; der weder weiß noch sich darum kümmert, unter wessen Auspizien, wem zu Gefallen, auf wessen rachsüchtiges Betreiben er in die Uniform gesteckt wurde; der, kurzum, nicht mehr und nicht weniger ist als der offiziell anerkannte Spürhund der HESPNAT-Einheit 22.
    Aber wie bequem dieser Gedächtnisverlust ist, wie viel er entschuldigt! Gestatten Sie mir also, mich selbst zu kritisieren: Die Philosophie des Hinnehmens, der der Buddha anhing, hatte Folgen, die nicht mehr oder minder verhängnisvoll waren als seine frühere Gier, im Mittelpunkt zu stehen; und hier in Dacca wurden diese Folgen offenbar.
    «Nein, das ist nicht wahr», jammert meine Padma; so hat man auch das meiste von dem, was sich in jener Nacht zutrug, geleugnet.
    Mitternacht, 25. März 1971: An der Universität vorbei, die unter Beschuss war, führte der Buddha Truppen zu Scheich Mujibs Schlupfwinkel. Studenten und Dozenten kamen aus ihren Unterkünften, sie wurden von Kugeln begrüßt, und Jod befleckte den Rasen. Scheich Mujib jedoch wurde nicht erschossen; man fesselte ihm die Hände, man misshandelte ihn, und Ayooba Baloch führte ihn zu einem wartenden Lieferwagen. (Wie schon einmal zuvor, nach der Revolution der Pfefferstreuer ... aber Mujib war nicht nackt. Er trug einen grün-gelb gestreiften Pajama.) Und während wir durch die Straßen der Stadt fuhren, sah Shaheed aus Fenstern und sah Dinge, die nicht wahr waren, nicht wahr sein konnten: Soldaten drangen ohne zu klopfen in Frauenunterkünfte ein; Frauen wurden auf die Straße gezerrt, und auch in sie drang man ein, und wiederum machte sich niemand die Mühe zu klopfen. Und Zeitungsredaktionen, die in dem schmutzig gelb-schwarzen Rauch billigen Zeitungspapiers für die Schmutzpresse verbrannten, und
Gewerkschaftsbüros, bis auf die Grundmauern zertrümmert, Straßengräben, die sich mit nicht bloß schlafenden Menschen füllten – nackte Oberkörper sah man und Einschusslöcher wie ausgedrückte Pickel. Ayooba Shaheed Farooq sahen durch sich bewegende Fenster schweigend zu, wie unsere Jungs, unsere

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