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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Soldaten-für-Allah, unsere prächtigen Jawans, von denen jeder zehnmal so viel wert war wie ein Babu, Pakistan zusammenhielten, indem sie mit Flammenwerfern Maschinengewehren Handgranaten über die Slums der Stadt herfielen. Bis wir Scheich Mujib zum Flughafen gebracht hatten, wo Ayooba ihm eine Pistole ins Kreuz drückte und ihn in ein Flugzeug stieß, das ihn in den Westflügel in Gefangenschaft flog, hatte der Buddha längst die Augen geschlossen. («Stopf mir nicht den Kopf mit all diesen Geschichten voll», hatte er einmal zu Ayooba-dem-Panzer gesagt. «Ich bin, wer ich bin, mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.»)
    Und Stabsoffizier Iskandar sammelt seine Truppen: «Sogar jetzt noch gibt es subversive Elemente, die ausgerottet werden müssen.»
    Wenn das Denken unerträglich schmerzhaft wird, ist Handeln das beste Heilmittel ... Hundesoldaten ziehen an den Leinen, werden losgelassen, springen freudig an die Arbeit. O Wolfshundjagden auf unerwünschte Personen! O ertragreiche Festnahmen von Professoren und Poeten! O bedauerliches Erschießen wegen Widerstands bei der Festnahme von Angehörigen der Awami-Liga und Modekorrespondenten! Hunde des Krieges rufen in der Stadt zur Vernichtung auf, aber wenn Spürhunde auch unermüdlich sind, Soldaten sind schwächer: Farooq Shaheed Ayooba übergeben sich abwechselnd, als der Gestank brennender Slums ihnen in die Nasen steigt. Der Buddha, in dessen Nase der Gestank Bilder von versengender Lebhaftigkeit erzeugt, macht einfach mit seiner Arbeit weiter. Schnüffel sie heraus: Überlass den Rest den Soldatenjungen. HESPNAT-Einheiten durchforsten die schwelenden Überreste der Stadt. Kein unerwünschtes Element ist heute Nacht sicher, kein Versteck unauffindbar. Bluthunde spüren die fliehenden Feinde der
nationalen Einheit auf; unübertreffliche Wolfshunde graben grimmig die Zähne in ihre Beute.
    Wie viele Verhaftungen – zehn, vierhundertzwanzig, eintausendundeine? - nahm unsere HESPNAT-Einheit in jener Nacht vor? Wie viele hasenfüßige Intellektuelle Daccas versteckten sich in Frauensaris und mussten auf die Straße gezerrt werden? Wie oft ließ Stabsoffizier Iskandar –«Nehmt diese Spur auf! Das ist der Gestank der Subversion!» – die Kriegshunde der Einheit los? In der Nacht vom 25. Mai fanden Dinge statt, die ewig unaufgeklärt bleiben müssen.
     
    Sinnlosigkeit von Statistiken: 1971 flohen zehn Millionen Flüchtlinge über die Grenze von Ost-Pakistan-Bangladesch nach Indien – aber zehn Millionen lassen sich wie alle Zahlen über eintausendundeins nicht begreifen. Vergleiche helfen nicht: «Die größte Völkerwanderung in der Geschichte der Menschheit» – bedeutungslos. Größer als der Exodus, größer als die bei der Teilung fliehenden Massen, strömte das vielköpfige Ungeheuer nach Indien. An der Grenze bildeten indische Soldaten die Guerillas aus, die als Mukti Bahini bekannt wurden; in Dacca gab Tiger Niazi den Ton an.
    Und Ayooba Shaheed Farooq? Unsere Jungs in Grün? Wie gefiel es ihnen, gegen ihre Fleisch fressenden Kameraden zu kämpfen? Meuterten sie? Wurden Offiziere – Iskandar, Najmuddin, sogar Lala Moin – mit von Ekel erfüllten Kugeln durchsiebt? Nein, wurden sie nicht. Die Unschuld war verloren, aber trotz eines neuen, grimmigen Zugs um die Augen, trotz des unwiderruflichen Verlusts von Gewissheit, trotz der Zerstörung ihrer obersten moralischen Werte fuhr die Einheit mit ihrer Arbeit fort. Der Buddha war nicht der Einzige, der tat, was man ihm sagte ... während hoch über dem Kampfgetümmel die Stimme von Jamila der Sängerin anonyme Stimmen bekämpfte, die die Texte von R. Tagore sangen: «Mein Leben verstreicht in schattigen Dorfhütten, angefüllt mit Reis von deinen Feldern; sie machen mein Herz vor Entzücken trunken.»
    Ihre Herzen wurden trunken, aber nicht vor Entzücken. Ayooba und Konsorten folgten Befehlen; der Buddha folgte Geruchsspuren. Ins Herz der Stadt, das gewalttätig toll blutdurchtränkt ist, da die Soldaten des Westflügels vollends außer Rand und Band geraten sind, seit sie wissen, dass sie unrecht tun, ins Herz der Stadt marschiert Einheit Nummer 22; durch die geschwärzten Straßen geht es, wo der Buddha sich auf den Boden konzentriert, Fährten erschnüffelt und das Chaos von Zigarettenschachteln Kuhmist umgefallenen Fahrrädern im Stich gelassenen Schuhen ignoriert; dann weiter zu anderen Aufgaben, hinaus aufs Land, wo ganze Dörfer niedergebrannt werden, weil sämtliche Bewohner dafür

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