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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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sensationslüsternen Filmemacher regelmäßig anwenden. Mit leicht gesenktem Kopf akzeptiere ich, dass mein Leben wieder einmal den Charakter eines Bombay-Films angenommen hat; aber wenn ich das strittige Problem der Reinkarnation einmal beiseite lasse, gibt es schließlich nur eine begrenzte Anzahl von Methoden, wie man wiedergeboren werden kann. Ich entschuldige mich also für das Melodrama, muss aber hartnäckig darauf bestehen, dass ich, er, wieder neu angefangen hatte; dass ihm (oder mir) nach Jahren, in denen er sich nach Bedeutung gesehnt hatte, die ganze Sache ausgetrieben worden war; dass ich (oder er), nachdem Jamila die Sängerin, die mich in die Armee eingeschmuggelt hatte, um mich nicht mehr sehen zu müssen, mich so rachsüchtig im Stich gelassen hatte, das Schicksal hinnahm, mit dem meine Liebe vergolten wurde, und ohne mich zu beklagen unter einem Chinarbaum saß; dass der Buddha, von der Geschichte befreit, die Kunst der Unterwerfung lernte und nur tat, was von ihm verlangt wurde. Um zusammenzufassen: Ich wurde ein Bürger Pakistans.
     
    Man konnte darüber streiten, ob es unvermeidlich war, dass der Buddha während der Ausbildungsmonate begann, Ayooba Baloch zu erzürnen. Vielleicht lag es daran, dass er es vorzog, abseits von den Soldaten zu leben, in einer strohgedeckten Asketenhütte am anderen Ende der Hundezwinger; oder dass man ihn so oft unter seinem Baum sitzend fand, die Beine untergeschlagen, den silbernen Spucknapf krampfhaft festhaltend, die Augen ins Leere blickend, ein törichtes Lächeln auf den Lippen, als sei er tatsächlich glücklich, dass er den Verstand verloren hatte! Dazu kam, dass Ayooba, der Apostel des Fleisches, seinen Spürhund vielleicht nicht
männlich genug fand. «Wie eine Eierfrucht, Mann», gestatte ich Ayooba, sich zu beklagen. «Ich schwöre es – Gemüse!»
    (Wir können auch, wenn wir die Dinge aus einem weiteren Gesichtswinkel betrachten, bestätigen, dass zum Jahreswechsel Verärgerung in der Luft lag. Wurden nicht sogar General Yahya und Bhutto erregt und ungeduldig angesichts der Tatsache, dass Scheich Mujib mutwillig auf seinem Recht beharrte, die neue Regierung zu bilden? Die elende bengalische Awami-Liga hatte von 162 möglichen Sitzen im Ostflügel 160 errungen, während Bhuttos PPP nur 81 westliche Wahlkreise für sich hatte. Ja, eine ärgerliche Wahl. Man kann sich leicht vorstellen, wie verärgert Yahya und Bhutto, beide Angehörige des Westflügels, gewesen sein müssen. Und wenn sogar die Mächtigen verdrießlich werden, wie soll man da dem kleinen Mann einen Vorwurf machen? Die Verärgerung Ayooba Balochs, so wollen wir schließen, verschaffte ihm einen Platz in vorzüglicher, um nicht zu sagen erhabener Gesellschaft.)
    Bei Ausbildungsmanövern, bei denen Ayooba Shaheed Farooq dem Buddha nachkrochen, wenn er selbst noch der schwächsten Spur durch Gebüsch über Felsen durch Bäche folgte, mussten die drei Jungen seine Geschicklichkeit anerkennen; aber immer noch fragte Ayooba, der Panzergleiche: «Erinnerst du dich wirklich nicht? An nichts? Allah, hast du kein schlechtes Gefühl dabei? Irgendwo hast du vielleicht Vater Mutter Schwester», doch der Buddha unterbrach ihn sanft: «Versuch nicht, mir den Kopf mit all diesen Geschichten voll zu stopfen. Ich bin, wer ich bin, mehr gibt’s dazu nicht zu sagen!» Seine Aussprache war so sauber –«Wirklich erstklassiges Lucknow-Urdu, wahwah !», sagte Farooq voll Bewunderung – , dass Ayooba, der so ungehobelt wie ein Hinterwäldler sprach, verstummte; und die drei Jungen begannen noch inbrünstiger an die Gerüchte zu glauben. Ohne es zu wollen, waren sie fasziniert von diesem Mann mit der Nase wie eine Gurke und dem Kopf, der sich Erinnerung, Familie, Geschichte verweigerte und außer Gerüchen absolut nichts enthielt ... «wie ein faules Ei, das
jemand ausgesaugt hat», murmelte Ayooba seinen Kameraden zu und setzte dann, zu seinem Hauptthema zurückkehrend, hinzu: «Allah, sogar seine Nase sieht wie Gemüse aus.»
    Das Unbehagen blieb. Spürten sie in der gefühllosen Leere des Buddhas, dass er etwas von einem «unerwünschten Element» an sich hatte? – Denn war seine Zurückweisung von Vergangenheit und Familie nicht genau die Art subversiven Benehmens, die «auszurotten»sie bestimmt waren? Die Offiziere im Lager jedoch waren taub gegen Ayoobas Verlangen –«Sir Sir, können wir nicht einfach einen richtigen Hund haben, Sir?» –, sodass Farooq, der geborene Gefolgsmann, der sich

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